O mir graut, nur davon zu sprechen. Und dies Leiden, den Graus, den Abscheu zu erleben, wirklich zu erleben, ich ertrüg es nicht! Wie sehr tatest du recht, Mutter, mir unsere Bandello, Boccaz und den leuchtenden Ariost nicht zu verschließen, wie manche Eltern tun, denn statt zu verlocken, hat sich diese sogenannte Liebe, die immer nach diesem entsetzlichen Ziele strebt, die berühmte allwaltende Leidenschaft mir nur verhaßt gemacht.«
»Welche Unnatur!« rief die Mutter aus, »Kind, deine entartete Phantasie ist es nur, die dir Grauen erregt, nicht diese Bedingung des Lebens selbst, die durch göttliche wie menschliche Gesetze ihre Weihe, wie alles Heilige, erhalten hat.«
»Ich verstehe ja auch«, erwiderte die Tochter, »den Willen Gottes und der Natur, ich verehre diese Satzung und begreife ihre Notwendigkeit – aber warum soll ich mich ebenfalls dem Ausspruch fügen und nicht zurücktreten dürfen, wie so viele Priester, Nonnen und Heilige?«
»Und in ein Kloster wolltest du dich vergraben, du lebensmutiges Kind?«
»Nein, Mutter«, rief Vittoria aus, »lieber sterben! Ich verehre die Ehe; bist du, herrliche Julia, doch Mutter geworden, und Mutter vieler Kinder; muß ich dir doch dafür danken, da ich nur durch dich in dies freundliche Dasein gerufen wurde. Laß mich gewähren. Vielleicht erzieht mich Zeit und Erfahrung noch anders. Du meinst, der Mann müsse höher stehn, als das Weib. Noch habe ich keinen gesehn, der sich dir nur vergleichen dürfte; meinen teuern Vater habe ich nicht gekannt und kann mir kein Bild von ihm machen; aber müßte ich durchaus dem Gesetz nachgeben, so scheint mir vielmehr ein Mann, wie Camillo, meiner Ehe zu passen, den ich eigentlich ohne alle Bitterkeit unter mir fühle.«
»Ich werde noch lange«, sagte die Matrone, »über unser Gespräch und deine sonderbaren Meinungen nachzudenken haben. Demjenigen, was allem Lebensreiz, bewußt und unbewußt, der Poesie und aller Kunst zum Grunde liegt, dem willst du entsagen, und doch bist du für Malerei und Poesie begeistert, doch hast du Sinn für die männliche Schönheit: wie willst du mit deiner Unnatur dich in geselligem lebenden Kreise bewegen?«
»Mit Mut und Entschlossenheit macht sich alles«, erwiderte die Tochter mit heiterer Miene. »Gestern noch las ich das hübsche Büchelchen von der Tullia d'Aragon, ›Über die Unendlichkeit der Liebe.‹ – Sieh, diese weltberühmte Frau hat sich niemals vermählt, und wurde von der ganzen Welt vergöttert, in Bildnissen verherrlicht, und der große Bembo, der herrliche Poet Bernard Tasso und so viele andere berühmte Namen haben ihr gehuldigt.«
»Kind! Kind!« sagte die Mutter mit schwerem Seufzer – »wohin gerätst du? Dieses Wesen, so schön, so poetisch sie war, durfte sich an Tugend und Hoheit niemals mit der vermählten Colonna und andern Dichterinnen vergleichen: Du weißt auch, daß sie zum Teil deshalb bekannt und beliebt war, weil ihre Sitten, so sagt man, sich durch Leichtsinn auszeichneten; ihre platonische Liebe soll mehr als einmal zur irdischen herabgestiegen sein, und so könnte, weil auch du schön bist, dein Eigensinn dich statt zur Gattin, zur Buhlerin machen.«
Vittoria legte der Mutter den Finger auf den Mund und sagte: »Bitte! bitte! Was sagt die Welt nicht alles von großartigen Frauen. Ich denke mir, daß sie ein schönes reines Leben führte, das Edelste jener Gelehrten, Fürsten und Dichter sich aneignete, die zu ihren Füßen saßen. Hat nicht der ernste pedantische Orthodox, der alte Speron Sperone in Padua einen eigenen Dialog über die Liebe geschrieben, wo sie auftritt und von dem großen Bernardo Tasso verehrt und gepriesen wird. Dieser herrliche Dichter verleugnete auch nie, daß sie seine Göttin war.«
»Vergiß nicht«, sagte die Matrone, »daß der finstere Sperone damals jünger war, und daß er gewissermaßen in einem spätern moralischen Dialog alle jene Äußerungen und Meinungen zurückgenommen hat.«
»Um so schlimmer für ihn!« rief die Tochter aus, »denn was einmal wahres Eigentum unsers Geistes war, sollen wir niemals wieder weggeben. Wer gegen sich selbst nicht treu ist, kann es gegen niemand sein. Wer sich verleugnet, wird auch das Göttliche verleugnen. Da helfen sie sich denn freilich mit den traurigen eisernen Schranken einer dürren Moral und einer mißverstandenen Religion.« –
»Camillo vergessen wir ganz darüber«, sagte die Mutter, indem sie aufstand. Sie ging in die Gesindestube, und fühlte, daß dieses Gespräch eine Epoche ihres Lebens bilde, denn sie war dadurch in eine ganz andere Stellung zu ihrer Tochter gerückt worden. Diesen strengen Geist des eben erst aufgeblühten Kindes hatte sie nicht geahnet, sie sah jetzt ein, daß der poetische Leichtsinn, das Harmlose des schönen Wesens, der oft kindliche Übermut ebensoviel Vorsatz, als Temperament war. Sie sorgte jetzt, das Düstere der Vorstellungen möchte einst über die Heiterkeit den Sieg davontragen. Schwanken wir nicht immerdar, sagte sie zu sich, an der Grenze des Wahnsinns hin? Arbeit, Pflicht, Scherz und Andacht müssen uns immerdar zerstreuen, um nicht in den stets offnen Abgrund hineinzutaumeln, wie sie vor wenigen Tagen dort in den Wassersturz.
Sie sendete Ursula, die alte Amme, da Flaminio nicht zugegen war, zum Weltpriester hin, um zu erfahren, ob Camillo Mattei nicht gar von jenem Wagnis krank geworden sei, da er noch immer nichts von sich hatte hören lassen. Die berührige geschwätzige Alte freute sich, in dem kleinen Orte, in welchem sie nur wenige Unterhaltung fand, wieder einmal eine neue Bekanntschaft zu machen. Nachdem sie ihre Kleidung verbessert und einen weißen Schleier umgelegt hatte, begab sie sich in das kleine Haus des Priesters. Der Alte sah verdrießlich von seinem Gebetbuche auf nach der unbekannten Besucherin hin, die sogleich redselig die Grüße ihrer Herrschaft hersagte, und sich dann erkundigte, warum denn der junge, liebenswürdige Mattei noch nicht wieder gekommen sei, um die herzlichsten Danksagungen der ganzen Familie zu empfangen.
»Setzt Euch, alte Person, ruht Euch aus«, sagte der Priester; »das Schwatzen muß Euch sehr müde machen. Mein Neffe, Gott tröste ihn, ist krank. Die junge fröhliche Dame ist, wie ich höre, mit weniger selbst als einem blauen Auge davongekommen. So geht es immer mit den Vornehmen und Reichen: wir armes Gesindel müssen alles ausbaden und den Schaden bezahlen. Das Wasser hat meinem jungen Bengel nicht geschadet, aber beim Hineinspringen ist er so heftig auf die spitzen Steine aufgeschlagen, daß Rücken, Rippen, Hüften, alles ein Schmerz ist. Er hat Beulen und ist so blau gefärbt und angelaufen wie der damaszierte Stahl. – Das wißt Ihr doch von Eurer Jugend her, aus der Naturgeschichte, Ihr altes Kind, daß Steine nicht so weich sind, wie das Wasser?«
»Lieber Himmel, nein«, sagte Ursula, »das habe ich noch nicht vergessen. Ich habe alle meine Herrschaften aufgesäugt, sonst wäre meine gnädige Signora Julia auch wohl nicht so schön geblieben, und alle die Kinder, vorzüglich aber das älteste, der Herr Abbate, mögen mir vielen Verstand und Einsicht, auch Gedächtnis weggesogen haben, womit sie nun in der Welt prunken und Aufsehen erregen, aber diese Kenntnis und Einsicht ist mir doch geblieben. Ja, ehrwürdiger Herr, Steine sind in der Regel hart, aber auf verschiedene Art, nach seiner Temperatur ein jeder; aber darauf hinstürzen, ist keinem Körper gesund. Sonst hätten die bösen Juden den heiligen Stephanus gar nicht steinigen können, wenn in den Kieseln nicht eine gewisse Harte wäre.«
»Eure Kenntnis wandelt auf dem ganz richtigen Wege«, fuhr der Priester fort; »man freut sich, mit Menschen von Geist und Erfahrung Bekanntschaft zu machen, denn die Welt verdummt immer mehr.
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