Aber meinen Neffen, den haben die Herrschaften, so scheint es mir, verbraucht, denn wenn er auch wiederaufkommen sollte, wird er doch zeitlebens ein Narr bleiben. Da phantasiert und tollt er auf seinem Lager herum, und spricht von den alten heidnischen Göttern, von denen er wenigstens ein Dutzend, so schreit er es aus, da unten im Wasserfall, kennengelernt hat. Dann sagt er zur Abwechselung, er sei selbst eine von den alten Gottheiten, und Euer hochgewachsenes Fräulein habe ihn dazu gestempelt. Er meint in seiner philosophischen Raserei, er hätte sich eigentlich, wenn er Menschenverstand gehabt hätte, neulich umbringen sollen, und die überweise Vittoria zugleich mit, so würden die beiden jetzt in den elysischen Gärten spazierengehn, und die reifsten und süßesten Maulaffenbeeren von den Bäumen herunternaschen. Von der Religion will er nun gar nichts wissen, weil er meint, die könne ihm zu seinem künftigen Fortkommen in der Hölle doch von keinem sonderlichen Nutzen sein, denn Herr Pluto und dessen unterirdische Richter examinierten die Kandidaten nach einem gar andern Katechismus. Kurz, der Bursche ist mir und der ganzen Christenheit dermalen verdorben, und das hat einzig Eure superkluge Herrschaft: zu verantworten, die das junge Blut als einen Pudelhund mit sich nahm, um verlornen Hochmut aus dem Wasser wieder heraufzuholen. Ich habe sogleich den Apotheker müssen kommen lassen, der ihn bepflasterte, und ihm Latwergen und Tränke und Tropfen mitgebracht hat, die ich armer Gesell aus meiner knappen Wirtschaft nun alle bezahlen muß; alles bittres, verfluchtes, niederträchtiges Zeugs, wo sie mir noch viel Geldes dazugeben müßten, wenn ich sollte überredet werden, das gottlose Höllengesöff hinterzuschlucken. Der einzige greifliche Vorteil bei der ganzen verfluchten Geschichte ist, daß das dumme Lammsgesicht in den ersten zehn Jahren nicht wieder braucht geprügelt zu werden, weil ihm Rücken und Rippen von der remarkablen Geschichte beinah zerquetscht und zertrümmert sind.«
»Geistlicher Herr«, sagte Ursula, »Ihr beliebt so klug und so quatsch durcheinanderzusprechen, daß es fast unmöglich ist, Eure Meinung zu kapieren. Wenigstens macht Ihr es den Laien ziemlich schwer.«
»Nun, so seht Euch die Bescherung selbst an«, sagte der Geistliche, »wenn Ihr Euch aus meiner Legende nicht zu vernehmen wißt.«
Sie gingen in die Kammer, wo der Kranke sich unruhig auf seinem schlechten Lager wälzte. Seine Augen glühten, und als die beiden eintraten, rief er ihnen entgegen: »Teuerster Monsignore Charon, bringt er sie jetzt herüber, meine längst angetraute Gemahlin, die Dame Vittoria? Ei was! Ist sie schon seit den kurzen dreihundert Jahren so sehr gealtert, wie muß ich dann erst aussehn, der ich schon vor meiner Geburt ein alter Kerl war? – Wie? Runzeln in dem braunen Gesicht? Warum gerade so? Kann das Alter denn nicht bloß ehrwürdig erscheinen, warum muß es gerade lächerlich sein?«
»Nein, nein, junges Blut«, rief Ursula unwillig aus; »ich bin nicht die Herrschaft, ich bin die Amme, die sie großgesäugt hat, darum laßt Eure Pasquinaden und wendet Euch an Gott, damit er Euch gesund mache und Euren verfallenen Verstand wiederherstelle.«
»Ihr habt sie mit Eurem Blut, mit Eurer Milch, mit Euren Lebenskräften gesäugt?« rief der Kranke; »kommt näher, Musterbild aller Schönheit, denn auf die Weise hat sie ja nur von Euch ihre Vollkommenheiten. Ehe sie selber war, ruhten ihr Auge, die süßtönende Rede, die Himmelslippen, alle die Verse, die sie weiß und selber dichtet, schon in dieser verknöcherten, kastanienbraunen Brust? O kommt und reicht mir auch etwas von dieser Nahrung, damit ich doch einige Ähnlichkeit mit ihr bekomme.«
»Pfui!« schrie die Alte erbittert, »er sollte doch wenigstens auf eine dezente Art rasen, daß wohlerzogene Frauenzimmer sich über seine Liebesphrasen nicht zu schämen brauchten.«
Sie ging böse und scheltend fort und erstattete der Herrschaft nur einen sehr unvollkommenen und verwirrten Bericht. Die Signora Julia schickte durch ihren jüngern Sohn eine bedeutende Summe zum Pfarrer, damit ihm der kranke Neffe nicht zu viele Ausgaben veranlasse, auch sorgte sie dafür, daß ein verständiger Arzt außer dem halbgelehrten Apotheker sich, auf ihre Rechnung, des Leidenden annahm. Auch kühlende Sachen, eingemachte Früchte und andere Erfrischungen besorgte sie, und so hoffte sie, bald von der Besserung und Genesung des Camillo Mattei zu vernehmen.
Drittes Kapitel
Es hatte sich mit Camillo gebessert. Die kräftige frische Jugend kämpfte das Fieber und die Krankheit nieder. Der Beistand, den ihm die Signora Julia durch ihre Bemühung verschafft hatte, indem sie ihm einen verständigen Arzt sendete, die Beruhigung, die sie durch ihre Unterstützung dem alten Priester gewährte, alles dies hatte die Wiederherstellung des jungen Mannes beschleunigt. Er meldete sich bei der Familie, um seinen Dank abzustatten, und die Mutter empfing ihn freundlich, aber zugleich mit einer gewissen Feierlichkeit. Auch Virginia, von dem strengen, beobachtenden Auge der Mutter beherrscht, hatte einen andern Ton gegen ihn angenommen, als den er bisher gewöhnt war, und so fühlte sich Camillo, der nach jener Szene ganz andere Erwartungen mitgebracht hatte, verletzt und gedemütigt; er war verlegen, und wenn ihn die Gesellschaft nicht beschämt hätte, so würde er sein Gefühl wohl in heißen Tränen ergossen haben.
»Ihr werdet nun wohl«, sagte die Mutter, um das zögernde Gespräch in Bewegung zu setzen, »zu Euren Eltern nach der Stadt zurückkehren, um weiterzustudieren. Seid Ihr erst etwas vorgeschritten, mein lieber junger Freund, so werde ich nicht ermangeln, Euch meinem Sohn, dem Abte, zu empfehlen, ja ich werde vielleicht die Gelegenheit finden, zu Eurem Besten mit dem großen Kardinal Farnese zu sprechen, der jetzt wahrlich, zunächst unserm Heiligen Vater, den größten Einfluß auf die kirchlichen Angelegenheiten hat. Zeigt Ihr Euch nun wacker und unterrichtet, darf man später von Eurer Rechtgläubigkeit überzeugt sein, so wird es Euch gelingen, bald in eine einträgliche Stelle versetzt zu werden, von welcher Ihr allgemach höher steigen mögt, um auch Euren teuren Eltern ihre Liebe, und die Opfer, die sie Euch gebracht haben, vergelten und ersetzen zu können.«
Vittoria war im Innern über diese wohlgesetzte Rede aufgebracht, aber sie hatte nicht den Mut, in Camillos Gegenwart ihr Erzürnen kundwerden zu lassen, um nicht einen vielleicht unziemlichen Auftritt herbeizuführen. Die Mutter merkte ihre Verstimmung, sie hatte sich aber fest vorgenommen, sich durch nichts in ihrem Entschluß irremachen zu lassen. Camillo erwiderte stotternd und mit hoher Röte im Gesicht: »Signora, ich werde noch acht Tage hier in Tivoli verbleiben, so hat es mir der Arzt befohlen, den Ihr mir zu senden die Gnade hattet. Ich werde dann nach Rom zurückkehren, aber ganz in Zweifel und Ungewißheit, mehr als je, ob ich auch würdig genug sei, mich dem geistlichen Stande widmen zu können. Es ist gar zu schmerzlich, sein ganzes Leben einem Berufe zu weihen, den man mit entschiedenem Widerwillen antritt. Ihr wollt mich beschützen – oh, wie glücklich würde ich mich fühlen, wenn Ihr mir irgendwo, sei es in Venedig, Florenz, oder wo es auch wäre, eine Stelle und Aussicht beim Soldatenstande schaffen könntet. Oder wenn sich ein Kaufherr in Genua oder ein Venezianischer meiner annehmen wollte. Ich fürchte, ich bin nicht fromm; zwinge ich mich also, ganz gegen Neigung, in das geistliche Wesen hinein, so ist zu besorgen, daß ich aus Tücke und Widerspruch, wie der Mensch nun einmal ist, auf gar arge Ketzereien geraten, und in dem Zustande Leib und Seele verlieren möchte.« –
»Junger Mensch«, sagte die Matrone mit kalter Sicherheit, »Ihr kennt Euch selbst noch nicht hinreichend. Folgt meinem Rate, denn er ist gewiß der beste. An meinem eigenen Sohne Marcello erlebe ich es, wie schwer es ist, den Söhnen eine andere Laufbahn, als die der Kirche, zu eröffnen. Beim Soldaten hat der Edelmann immerdar den Vorzug, und alle die großen Häuser in Italien sorgen dafür, daß bei allen Fürsten in den Ländern ihre Schützlinge und Anverwandten die einträglichen Stellen erhalten. Mit Kaufleuten stehe ich in gar keiner Bekanntschaft, denn meine Verbindungen, durch welche ich Euch nützen könnte, erstrecken sich eben nicht über Rom hinaus.
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