Bei der Bestimmung unseres Lebens dürfen wir nicht zuviel auf unsere Neigungen oder Leidenschaften hinhören, denn das Schicksal des Daseins, dem wir in dem Augenblicke der Bestimmung entgegentreten und es herbeirufen, ist zu ernst, um Spiele und Gewöhnungen der Kindheit, jene leichten Blüten, die den Früchten weichen sollen, mit hinüberzunehmen. Dadurch, daß Ihr uns bekannt seid, daß wir Euch so innig verpflichtet wurden, so daß ich gezwungen bin, für Euch wie für einen lieben Verwandten zu denken und zu sorgen, dadurch, daß es sich fügt, daß wohlwollende Gönner und Freunde von großem Einfluß, auf meine Worte, Bitten und Empfehlungen achten: dadurch, lieber Mattei, zwingt Euch das, was ich Schicksal nenne, Euch dieser Bestimmung und keiner andern zu ergeben. Und seid Ihr denn gar nicht stolz, junger Freund? Seht um Euch, wie große Männer allenthalben aus Armut und Niedrigkeit sich auf diesem so ehrenvollen Wege emporgeschwungen haben. Hier, im geistlichen Gebiet, ist die echte Republik, die Gleichheit aller Geschlechter und Stände. Kirchendiener, Bischöfe, Heilige, ja Päpste sind aus Armut und Dunkelheit emporgestiegen, um der Welt zu leuchten, und ihre Familie zu verherrlichen. Haben wir nicht ganz in der Nähe ein Beispiel an unserm Kirchenfürsten, dem gelehrten großen Kardinal Montalto, dessen Familienname Peretti ist? Wer spricht im römischen Staat, ja in ganz Italien diesen Namen Peretti nicht mit Ehrfurcht aus? Und er ist einem so armen, niedrigen, schwachen Hause entsprungen, daß Eure wackern bürgerlichen Eltern sich gegen seine Familie wohl eine vornehme dünken mochten. Als Knabe war dieser große Geist genötigt, das Vieh zu hüten, durch Almosen ward er großgezogen, schwache, armutselige Priester und Mönche waren seine ersten Beschützer – und jetzt! Ist er auch nicht reich, so kann er doch, wie jeder Kardinal, in wenigen Jahren wohl selbst Papst werden. Seht, mein Freund, der Stand, den Ihr nicht achten wollt, ist einzig der, wo Fleiß und Charakter sich geltend machen, und die Schwächsten, hier durchgedrungen, die Welt beherrschen können.«

Die Frauen erschraken, als in diesem Augenblicke der erst verschüchterte Camillo ein lautes Lachen aufschlug. »O ja«, rief er, »ich kann auch nach Asien wandern, mich für heilig ausgeben und der große Mogul werden. Was hindert mich, es auf den weltberühmten geheimnisvollen Priester Johannes anzulegen? Von Melchisedek und den drei Königen aus dem Morgenlande weiß man auch die Abstammung nicht. Dürfte es nicht auch geraten sein, sich mit dem Ewigen Juden zu assoziieren und sich von dem Brausewind zum Kompagnon annehmen zu lassen? Der macht ja auch Geschäfte mit und in aller Welt.«

Plötzlich schwieg er still, sah starr vor sich nieder, und trocknete sich heimlich eine Träne aus dem Auge. Mutter und Tochter sahen sich mit Erstaunen an, und die sonderbare Blässe des Marmors stand auf Vittorias Angesicht. Camillo richtete sich in mächtiger Verwirrung auf und sagte mit gebrochener Stimme: »Verzeiht mir, ihr Hochverehrten, meine Ungezogenheit. Ich bin ein elender Mensch, und verdiene nicht, in guter Gesellschaft zugelassen zu sein. Mir geschieht recht, wenn ich von den Edlen ausgestoßen werde.«

Er erhob sich zitternd. Demütig nahte er der Signora Julia und küßte ihre Hand, dann näherte er sich der Tochter, faßte ihre Finger, hielt sie lange fest, und konnte dann seine Lippen kaum entfernen, indem er fühlte, wie sein Druck, wenn auch nur leise, von der schönen Jungfrau erwidert wurde. So wankte er dann, wie ohnmächtig, zur Tür hinaus.

Mit dem Ausdruck der Heftigkeit stand die Matrone vom Sessel auf und ging an das Fenster. Vittoria blieb auf ihrem Stuhle und sah mit etwas scheuem Blicke nach der Mutter hinüber. -»Also schon jetzt!« rief die Mutter aus; »ich habe es ja gesagt! So ist die elende Beschaffenheit unsrer menschlichen Seele, daß aus jedem Ohngefähr tolle Hoffnungen erwachsen, deren sie sich schwindelnd bemächtiget. Nun ist man stolz, und trotzt und pocht in verächtlicher Aufregung einer rasenden Leidenschaft. Man spielt den Herrn der Welt, indem man tief unter dem blödsinnigen Bettler steht. Und eigentlich hast du es verschuldet!«

»Ich?« fragte die Tochter erschreckend.

»Weil du kindlich und unerfahren dein Herz und deine Zunge nicht genug bewachtest. Deine unschuldige Neigung hat er in seinem männlichen Eigennutz ganz anders gedeutet: diese angeborne Eitelkeit und Anmaßung des Geschlechts hat dich ihm schon erniedrigt, weil du höher standest, als er, weil du ihm reizend und wünschenswert erscheinst, seine Einbildung hat dich schon in Besitz genommen, und daß sein Irrsinn schon zur wahren Leidenschaft herangewachsen ist, zeigt seine Raserei, die wir von ihm haben ertragen müssen.«

»Was kann ich aber für das alles?« warf Vittoria mit Schüchternheit ein.

»Wie? Törin?« eiferte die Mutter, »sah ich es denn nicht (o ja, du kannst es meinem scharfen Auge nicht ableugnen), daß du ihm noch beim Abschied die Hand drücktest?«

»Und wenn es ist«, sagte Vittoria, »gibt es etwas Unschuldigeres? Er tat mir so leid, weiter habe ich mir nichts dabei gedacht.«

»Und du meinst«, antwortete die Matrone, »daß der Ungestüme sich diesen Druck nicht ganz anders wird ausgelegt haben? Für eine Liebeserklärung von deiner Seite hat er ihn genommen. Liebst du ihn wirklich, so tatst du etwas sehr Unrechtes, aber du handeltest ehrlich; liebst du ihn aber nicht, so war es ein armseliger Betrug, und gehört zu jenen schlechten Künsten, mit denen Weiber, die mit Recht verrufen sind, Handel und Wandel treiben, und nur gar zu oft durch fortgesetzte Unwahrheit die edelsten Männer zur Verzweiflung bringen.«

»Du gehst im Eifer zu weit«, sagte die Tochter mit großer Ruhe. »Gibt es denn außer wilder roher Leidenschaft, die unbedingt auf Besitz dringt, und jener kalten toten Gleichgiltigkeit, nichts Edles, Freundliches, Zartes, was zwischen diesen Äußersten liegt? Und, daß ich es dir nur gestehe, ich war dem kleinen Camillo immer gut, aber noch niemals hat er mir so sehr gefallen, als in seiner aberwitzigen komischen Rede, die dich so sehr gegen ihn aufgebracht hat. Diese Kraft hätte ich ihm niemals zugetraut. Ist es denn also möglich, wie du neulich äußertest, daß ich auch noch Leidenschaft und Wunsch nach der Ehe würde kennenlernen, nun so erzieht sich vielleicht meine Zärtlichkeit für meinen Mattei noch zu dieser Liebe. So laß denn diesen Gefühlen ihren Lauf und es ergibt sich nach Jahren vielleicht, daß du richtig gesehen hast.«

»Daß der Wahnsinn ansteckend ist, erfahre ich nunmehr ganz deutlich«, sagte die Mutter und sprach nun kein Wort mehr. –

Camillo ging indessen langsam und zögernd nach dem Hause seines Oheims zurück. Ja, ja, sprach er bei sich selbst, recht hat der alte verdrießliche Mensch! Die Vornehmen – sie taugen alle nichts! Nur bei der Armut wohnt Liebe und Tugend! das sehe ich an meinen Eltern, an so vielen Elenden! O dieser verächtliche Hochmut der armen, vergänglichen Sterblichen! – Und diese hochgetürmte weise Hoffarts-Dame! Was ist sie denn Großes? Die Witwe eines wohlhabenden Advokaten und Richters: dazu hätte mein Vater auch gelangen können, wenn er das Vermögen besessen hätte, zu studieren.