Margaret Mitchell
Margaret Mitchell
Vom Winde
verweht
»Gone with the Wind«
MARGARET
MITCHEL schuf die Gestalt der schönen Scarlett O'Hara, der eigensüchtigen,
verwöhnten, stürmischen Tochter des Südens, als ein Symbol, als ein Beispiel
für das Leben in einer großartigen, unwiederbringlich versunkenen Welt.
SCARLETT
O'HARA war ebenso schön wie skrupellos, von unbändigem Temperament und von
unbändigem Willen zum Leben - starrköpfig, eigensinnig, selbstsüchtig. Mit
siebzehn war sie Mutter und Witwe, mit zwanzig arm wie eine Kirchenmaus und
fünf Jahre danach reicher als irgendeine andere Frau in den Südstaaten.
Dieser
größte Roman-Bestseller Amerikas ist das einzige Werk von Margaret Mitchell.
Bis zur Veröffentlichung ihres Buches 1936 war die Autorin eine unbekannte
Journalistin und Hausfrau. Dann wurden in sechs Monaten eine halbe Million
Exemplare des Werkes verkauft, und die Verfilmung wurde zu einem der größten
Kassenschlager Hollywoods. Auch in Deutschland trat der Roman seinen Siegeszug
an. Die Begeisterung für seine Heldin Scarlett O'Hara, der man durch das
Bürgerkriegsjahrzehnt von 1861 bis 1871 folgt, war kein Strohfeuer. Über 12
Millionen Exemplare des Buches sind heute in 31 Sprachen verbreitet.
Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras,
er blühet wie eine Blume auf dem Felde;
wenn der Wind darüber geht, so ist sie nimmer da,
und ihre Stätte kennet sie nicht mehr.
(Psalm 10)
ERSTES BUCH 1
Scarlett
O'Hara war nicht eigentlich schön zu nennen. Wenn aber Männer in ihren Bann
gerieten, wie jetzt die Zwillinge Tarleton, so wurden sie dessen meist nicht
gewahr. Allzu unvermittelt zeichneten sich in ihrem Gesicht die zarten Züge
ihrer Mutter, einer Aristokratin aus französischem Geblüt, neben den derben
Linien ihres urwüchsigen irischen Vaters ab. Dieses Antlitz mit dem spitzen
Kinn und den starken Kiefern machte stutzen. Zwischen den strahlenförmigen
schwarzen Wimpern prangte ein Paar blaßgrüner Augen ohne eine Spur von Braun.
Die äußeren Winkel zogen sich ein klein wenig in die Höhe, und auch die
dichten, schwarzen Brauen darüber verliefen in einer scharf nach oben gezogenen
schrägen Linie von jener magnolienweißen Haut, die in den Südstaaten so
geschätzt und von den Frauen Georgias mit Häubchen, Schleiern und Handschuhen
ängstlich vor der sengenden Sonne geschützt wird. Reizend war
der Anblick dieses Mädchens, wie es an einem sonnigen Aprilnachmittage des
Jahres 1861 auf Tara, der Plantage ihres Vaters, mit Stuart und Brent Tarleton
im kühlen Schatten der weiten offenen Veranda vor der Eingangstür des Hauses
saß. Ihr neues Kleid aus grün geblümtem Musselin paßte genau zu den niedrigen
grünen Maroquinschuhen, die ihr Vater ihr kürzlich aus Atlanta mitgebracht
hatte. Zwölf Meter dieses duftigen Gewebes umbauschten mit der Krinoline ihre
Hüften, so daß die ganze Schlankheit einer Taille, die in der Provinz
ihresgleichen suchte, zur Geltung kam. Das knapp sitzende Mieder umschloß eine
für Scarletts sechzehnjährige
Jugend wohlgerundete Brust. Aber was halfen die Fülle des Kleides, das glatt
zurückgestrichene Haar, der sauber im Netz festgehaltene Knoten, die Ruhe, mit
der die kleinen weißen Hände im Schoß gefaltet lagen. Hinter so viel
Sittsamkeit verbarg sich nur mühsam ihre wahre, unbändige Natur. In den grünen
Augen blitzte und trotzte es und hungerte nach Leben, so wenig der mit Bedacht
gehütete sanfte Gesichtsausdruck und die ehrbare Haltung es auch zugeben
wollten. Das Benehmen war ihr von ihrer Mutter in milden Ermahnungen, von ihrer
Amme in weit strengerer Zucht beigebracht worden. Die Augen aber waren ihr
eigen. Zu ihrer Rechten und Linken lagen lässig in ihre Sessel zurückgelehnt
die beiden Tarletons. Durch die hohen Gläser voll Pfefferminz-Whisky blinzelten
sie in die Sonne, lachten und schwatzten vergnügt und hatten die langen, vom
Reiten gestählten, bis ans Knie gestiefelten Beine bequem
übereinandergeschlagen. Beide waren sie neunzehn Jahre alt und über
sechseinhalb Fuß hoch, hatten lange Knochen und feste Muskeln, sonnverbrannte
Gesichter, kastanienrotes Haar und lustige, herrische Augen; beide steckten in
den gleichen blauen Jacken und senffarbenen Reithosen und glichen einander wie
eine Baumwollkapsel der anderen. Draußen sandte die späte Nachmittagssonne
schräge Strahlen auf den Parkrasen vor dem Haus und übergoß die
Ligustersträucher mit prangendem Licht, ein undurchdringliches weißes
Blütenmeer vor dem saftigen Grün. Die Pferde der Zwillinge, große Tiere und
ebenso rot wie das Haar ihrer Herren, waren in der Einfahrt angebunden.
Zwischen ihren Beinen balgte sich eine Meute nervöser, magerer Jagdhunde, die
Stuart und Brent auf Schritt und Tritt begleiteten. Etwas abseits, wie es sich
für einen Aristokraten gehört, lag ein schwarz gesprenkelter Dalmatiner, die
Schnauze auf den Pfoten, und wartete geduldig darauf, daß die jungen Herren zum
Abendbrot nach Hause ritten.
Zwischen
Hunden, Pferden und Zwillingen bestand eine tiefere Verwandtschaft, als sie aus
beständigem Zusammensein hervorgehen kann. Alle miteinander waren es gesunde,
temperamentvolle junge Tiere von geschmeidiger Anmut und unbeschwert von
Gedanken, die Burschen ebenso reizbar wie die Pferde, die sie ritten, feurig
und gefährlich und dabei fügsam, sobald jemand mit ihnen umzugehen verstand.
Obwohl sie in der Sorglosigkeit des Plantagenlebens geboren und seit frühester
Kindheit nie ohne Bedienung gewesen waren, hatten die drei auf der Veranda
weder schlaffe noch weiche Gesichter. Es lag etwas von der Kraft und Wachheit
der Landleute darin, die ihr ganzes Leben im Freien zubringen und sich den Kopf
wenig mit dem Gewicht der Bücher beschweren.
In der
Provinz Clayton, im nördlichen Georgia, waren die Lebensformen nach Maßstäben
von Augusta, Savannah und Charleston etwas rauh, und gesetztere ältere Kreise
des Südens blickten sehr von oben herab auf die Leute von Ober-Georgia; aber
hier im Norden des Staates waren Mängel in den Feinheiten klassischer Erziehung
keine Schande, wenn man nur schneidig in dem war, worauf es ankam: eine
tadellose Baumwolle züchten, gut reiten, sicher schießen, gewandt tanzen, den
Damen elegant den Hof machen und wie ein Gentleman seinen Schnaps vertragen. In
allen diesen Künsten waren die Zwillinge ebenso Meister wie in der schon
berüchtigten Findigkeit, mit der sie allem, was zwischen Buchdeckeln
beschlossen ist, aus dem Wege zu gehen wußten. Ihre Familie hatte mehr Geld,
mehr Pferde und Sklaven als alle anderen in der Provinz, aber sie, die Söhne,
wußten von der Grammatik weniger als die mittellosen weißen Kleinfarmer und
Trapper aus der Nachbarschaft. Und gerade darum stahlen Stuart und Brent an
jenem Aprilnachmittag zu Tara ihrem Herrgott die Zeit.
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