Niemand wird mit Pferden fertig wie Ma. Als sie uns sah, sagte sie: >Um Himmels willen, was macht ihr vier denn wieder zu Hause, ihr seid ja ärger als die zehn Plagen Ägyptens!< Und dann fing das Pferd wieder an zu schnauben und zu steigen, und sie sagte: >Raus hier, seht ihr denn nicht, wie nervös er ist? Um euch kümmere ich mich morgen früh!< Wir gingen also zu Bett, und heute morgen waren wir schon weg, ehe sie uns erwischen konnte, und ließen Boyd zurück, um mit ihr fertig zu werden.«

»Meinst du, sie schlägt Boyd?« Scarlett konnte sich, wie die ganze übrige Nachbarschaft, nie an die Art gewöhnen, wie die kleine Mrs. Tarleton mit ihren großen Jungens umsprang und ihnen sogar eins mit der Reitpeitsche überzog, wenn es ihr angebracht erschien.

Beatrice Tarleton war eine vielbeschäftigte Frau. Sie hatte nicht nur eine der größten Baumwollplantagen, hundert Neger und acht Kinder auf dem Hals, sondern obendrein die größte Gestütfarm des Staates. Sie war von heftiger Gemütsart und geriet leicht in Zorn, wenn ihre Söhne etwas ausfraßen, und während niemand ein Pferd oder einen Sklaven schlagen durfte, war sie der Überzeugung, den Jungens könnten ein paar Hiebe dann und wann nichts schaden.

»Auf keinen Fall schlägt sie Boyd, den hat sie nie viel geschlagen, weil er der Älteste ist und außerdem der Kleinste aus dem Wurf.« Stuart war sehr stolz auf seine sechseinhalb Fuß. »Darum haben wir ihn ja gerade zu Hause gelassen, damit er ihr die Sache erklärt. Zum Teufel, Ma sollte uns nicht mehr verhauen, wir sind neunzehn und Tom einundzwanzig, und sie geht mit uns um, als wären wir sechsjährige Kinder.«

»Reitet eure Mutter morgen den neuen Hengst zum Gartenfest bei Wilkes?«

»Sie möchte schon, aber Pa findet es zu gefährlich. Außerdem erlauben es ihr die Mädchen nicht, sie meinen, sie sollte wenigstens einmal auf eine Gesellschaft im Wagen fahren wie eine Dame.«

»Hoffentlich regnet es morgen nicht«, sagte Scarlett, »eine Woche lang hat es nun fast täglich geregnet. Es gibt nichts Schlimmeres als ein Gartenfest, aus dem ein Picknick im Hause wird.«

»Oh, morgen ist es klar und heiß wie im Juni«, sagte Stuart. »Sieh dir doch den Sonnenuntergang an, so rot habe ich noch keinen gesehen. Nach dem Sonnenuntergang läßt sich immer das Wetter voraussagen.«

Sie blickten hinaus auf die endlosen Morgen frisch gepflügter Baumwollfelder vor dem roten Horizont - Gerald O'Haras Eigentum. Als die Sonne blutigrot hinter den Bergen jenseits des Flintflusses langsam niedersank, verebbte der warme Apriltag in einem schwachen, fast wohltuenden Frösteln.

Der Frühling war früh gekommen dieses Jahr, mit warmen belebenden Regengüssen, unter denen die Pfirsichbäume zu lauter rosa Blüten aufgeschäumt waren und die Ligusterbüsche die dunklen Flußufer und die fernen Hügel mit weißen Sternen übersprühten. Das Land war fast fertig gepflügt, und die blutrote Pracht des Sonnenuntergangs färbte die frischen Furchen in der roten Erde Georgias immer noch röter. Der feuchte aufgewühlte Boden hungerte nach Baumwollsamen, der sandige Grat der Furchen leuchtete rosig, an der beschatteten Seite glühte es Scharlachund kastanienfarbig. Das weiß verputzte Backsteinhaus lag wie eine Insel in dem wilden roten Meer, zwischen züngelnden, schwellenden, sich bäumenden Wogen, die in dem Augenblick, da ihr rosa gesprenkelter Kamm in Gischt aufbranden wollte, versteint waren. Hier gab es nicht die langen, geraden Furchen wie in den gelben Lehmfeldern des flachen MittelGeorgia oder in der lockeren Erde der Küstenplantagen. Das wellige Land in den Vorbergen Nord-Georgias wurde in Millionen Kurven gepflügt, damit der schwere Boden nicht in die Sümpfe am Fluß geschwemmt werde. Das Land war von beängstigender Röte: nach Regenfällen rot wie Blut, in der Dürre verwandelt in ziegelfarbenen Staub - der beste Baumwollboden der Welt. Es war ein liebliches Gelände mit weißen Häusern, friedlich gepflügten Feldern und trägen gelben Flüssen, doch ein Land voller Gegensätze, von blendendstem Licht und tiefstem Schatten. Die Rodungen für die Plantagen, die meilenweiten Baumwollfelder lächelten gelassen zur heißen Sonne empor. Am Rande ragten die Urwälder, dunkel und kühl selbst am heißesten Mittag, geheimnisvoll, unheimlich fast. Die säuselnden Pechkiefern warteten in zeitloser Geduld und drohten wie mit leisen Seufzern: Habt acht! Habt acht! Einst wart ihr unser, wir können euch wieder holen!

Den drei jungen Leuten vor der Haustür schlug Hufgetrappel, das Klirren von Geschirrketten und schrilles Kinderlachen von Negerstimmen ans Ohr, als die Knechte mit den Maultieren vom Felde kamen. Aus dem Hause schwoll die sanfte Stimme von Scarletts Mutter Ellen O'Hara heraus, wie sie dem kleinen schwarzen Mädchen rief, das ihren Schlüsselkorb trug. Die hohe Kinderstimme antwortete: »Jawohl, Missis!«, und sie hörte Schritte von der Hintertüre nach dem Räucherhause gehen, wo Ellen um diese Zeit den heimkommenden Knechten das Abendbrot zuteilte. Porzellan klirrte, Bestecke klapperten - Pork, der Diener auf Tara, deckte den Tisch zum Abendessen.

Die Zwillinge merkten, daß es an der Zeit war, nach Hause zu gehen; aber sie hatten durchaus kein Verlangen danach, ihrer Mutter unter die Augen zu treten, und konnten sich von der Hoffnung, Scarlett werde sie zum Abendessen einladen, noch immer nicht trennen.

»Hör mal, Scarlett«, sagte Brent, »daß wir weg waren und von dem Gartenessen und dem Ball nichts wußten, ist noch lange kein Grund, daß du für morgen abend nicht einen Haufen Tänze für uns freihältst. Du hast doch nicht etwa alle vergeben?«

»Doch, das habe ich! Wie sollte ich wissen, daß ihr alle zu Hause sein würdet? Sollte ich es euretwegen darauf ankommen lassen, Mauerblümchen zu spielen?«

»Du - ein Mauerblümchen!« Die Burschen lachten schallend. »Faß auf, Goldkind, mir mußt du den ersten Walzer geben und Stu den letzten, und dann mußt du mit uns zu Tisch gehen, wir setzen uns auf den Treppenabsatz wie auf dem letzten Ball, und Mammy Jincy muß wieder kommen und uns wahrsagen.«

»Mammy Jincys Wahrsagungen mag ich aber nicht, sie prophezeite mir einen Mann mit kohlschwarzem Haar und langem, schwarzem Schnurrbart, und ich mag keine schwarzen Männer.«

»Aber rothaarige, was?« grinste Brent. »Komm, versprich uns sämtliche Walzer und das große Abendessen.«

»Wenn du sie uns versprichst, sagen wir dir ein Geheimnis«, sagte Stuart.

»Was?« Scarlett horchte auf wie ein kleines Kind.

»Meinst du, was wir gestern in Atlanta gehört haben, Stu? Aber wir haben versprochen, es nicht zu erzählen.«

»Nun ja, aber Miß Pitty hat es uns doch auch gesagt.«

»Miß wer?«

»Ashley Wilkes' Cousine, die in Atlanta lebt, Miß Pittypat Hamilton, Charles und Melanie Hamiltons Tante.«

»Ich weiß schon, die albernste alte Dame, die ich in meinem Leben gesehen habe.«

»Als wir gestern in Atlanta waren und auf den Zug warteten, fuhr sie am Bahnhof vorbei, ließ halten und sprach mit uns. Sie hat uns erzählt, daß morgen abend auf dem Ball bei Wilkes eine Verlobung verkündet werden soll.«

»Ach, das weiß ich längst«, sagte Scarlett enttäuscht »Ihr langweiliger Neffe, dieser Charley Hamilton, und Honey Wilkes; seit Jahren weiß das jedermann, wenn er die Sache auch etwas lau betrieben hat.«

»Findest du ihn denn langweilig?« wollte Brent wissen, »Weihnachten hast du ihn reichlich um dich herumschwänzeln lassen.«

»Was soll ich machen, wenn er schwänzelt«, Scarlett zuckte gleichgültig die Achseln. »Ich finde, er ist ein richtiger Waschlappen.«

»Übrigens soll gar nicht seine Verlobung verkündet werden«, triumphierte Stuart, »sondern Ashleys mit Charlies Schwester, Miß Melanie!«

In Scarletts Gesicht veränderte sich nichts, nur ihre Lippen wurden weiß wie bei jemandem, der unvorbereitet einen betäubenden Schlag empfängt und im ersten Augenblick des Schreckens nicht faßt, was ihm geschieht.

Sie sah Stuart so groß und still an, daß er sie einfach für überrascht und interessiert hielt und sich nichts dabei dachte.