Ein Seelenkenner war er nie gewesen.
»Miß Pitty
sagte, sie hätten gar nicht die Absicht gehabt, es dieses Jahr noch zu
veröffentlichen, denn es sei Miß Melly nicht besonders gut gegangen. Aber bei
all den Kriegsgerüchten seien beide Familien für baldige Heirat gewesen, darum
soll es morgen abend verkündet werden. Also, nun haben wir dir das Geheimnis
gesagt, und du mußt uns versprechen, mit uns zu Tisch zu gehen.«
»Natürlich«,
antwortete Scarlett mechanisch.
»Und auch
alle Walzer?«
»Alle.«
»Süß von
dir! Paß auf, die anderen gehen in die Luft! Wetten?«
»Laß sie«,
sagte Brent, »wir beide werden schon mit ihnen fertig. Hör mal, Scarlett, laß
uns auch mittags beim Gartenessen zusammen sitzen.«
»Was
meinst du?« Stuart wiederholte seine Bitte.
»Natürlich.«
Die
Zwillinge sahen einander selig, aber doch einigermaßen überrascht an. Obwohl
sie sich als Scarletts begünstigte Verehrer betrachteten, hatten sie doch noch
nie zuvor ihre Auszeichnungen so mühelos gewonnen. Gewöhnlich ließ sie sie
betteln und flehen, hielt sie hin, sagte weder ja noch nein, lachte, wenn sie
grollten, und wurde kühl, wenn sie sich erhitzten. Und nun hatte sie ihnen so
gut wie den ganzen morgigen Tag versprochen. Den Platz an ihrer Seite beim
Essen, jeden Walzer - und sie wollten schon dafür sorgen, daß jeder Tanz ein
Walzer wurde. Das wog schon ihre Entfernung von der Universität auf.
Der Erfolg
gab ihnen neuen Mut, sie blieben immer noch ein Weilchen, sprachen von dem
Gartenfest und dem Ball, von Ashley Wilkes und Melanie Hamilton, fielen
einander ins Wort, rissen Witze und lachten darüber und machten immer neue
Anspielungen auf eine Einladung zum Abendessen. So verging die Zeit, und erst
allmählich fiel Scarletts Schweigsamkeit ihnen auf. Die Stimmung hatte sich
geändert; wie das gekommen war, wußten die Zwillinge nicht, aber der feine
Glanz dieses Nachmittags war dahin. Scarlett achtete nicht auf das, was sie
sagten, wenn sie auch richtige Antworten gab. Etwas war da, das sie nicht
begriffen. Das war ihnen unbehaglich, sie schleppten die Unterhaltung noch eine
Weile fort, dann standen sie auf und sahen nach der Uhr.
Die Sonne
stand niedrig über den frisch gepflügten Feldern, jenseits des Flusses
verdämmerten die schwarzen Umrisse des hohen Waldes. Mauerschwalben flitzten
über den Hof, Küken, Enten und Truthühner kamen einzeln und zuhauf vom Feld
stolziert und gewatschelt.
»Jeems!«
klang Stuarts Ruf. Nach einer Pause kam ein langer schwarzer Junge etwa ihres
Alters atemlos ums Haus herumgelaufen und rannte weiter zu den angebundenen
Pferden. Jeems war ihr Leibsklave und wie die Hunde auf Schritt und Tritt in
ihrer Nähe. Als Kind hatte er mit ihnen gespielt, und zu ihrem zehnten
Geburtstag bekamen sie ihn als Eigentum geschenkt. Die Hunde der Tarletons
sprangen aus dem roten Staub auf und warteten ungeduldig auf ihre Herren. Die
Zwillinge verbeugten sich, gaben Scarlett die Hand und versprachen, morgen
rechtzeitig drüben bei Wilkes auf sie zu warten. Dann stiegen sie zu Pferde und
galoppierten die Zedernallee hinunter. Sie winkten mit den Hüten und grüßten
rufend zurück. Jeems folgte ihnen.
Als sie
auf der staubigen Straße um die Ecke waren, wo man sie von Tara aus nicht mehr
sehen konnte, hielt Brent sein Pferd an. Auch Stuart brachte seines zum Stehen,
und der Negerjunge hielt ein paar Schritt hinter ihnen. Sobald die Zügel sich
lockerten, senkten die Pferde die Hälse, um im zarten Frühlingskraut zu grasen.
Die geduldigen Hunde legten sich wieder in den weichen Staub und blickten verlangend
nach den Schwalben, die durch die sinkende Dämmerung strichen. Brems breites
offenes Gesicht war verwirrt und gelinde entrüstet.
»Du«,
sagte er, »kam es dir nicht auch so vor, als hätte sie uns zum Abendessen
einladen wollen?«
»Mir
schien, sie hatte es vor«, antwortete Stuart. »Ich habe immer darauf gewartet,
aber sie tat es nicht. Verstehst du das?«
»Nein, und
ich meine, sie hätte es ruhig tun sollen. Schließlich ist es unser erster Tag,
und sie hat uns eine Ewigkeit nicht gesehen. Wir haben ihr doch noch so viel zu
erzählen.«
»Mir
schien, sie freute sich mächtig, als wir kamen.«
»Mir
auch.«
»Und dann
wurde sie plötzlich still, als ob sie Kopfweh hätte!«
»Ich habe
es auch gemerkt, aber nicht weiter darauf geachtet. Was mag ihr gefehlt haben?«
»Ob wir
etwas gesagt haben, was sie geärgert hat?« Beide dachten scharf nach.
»Mir fällt
nichts ein.
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