Im Epos, im Trauerspiel versteckt sich wenigstens oft die Kleinheit des Dichters hinter die Höhe seines Stoffs, da große Gegenstände schon sogar in der Wirklichkeit den Zuschauer poetisch anregen – daher Jünglinge gern mit Italien, Griechenland, Ermordungen, Helden, Unsterblichkeit, fürchterlichem Jammer und dergleichen anfangen, wie Schauspieler mit Tyrannen –; aber im Komischen entblößet die Niedrigkeit des Stoffs den ganzen Zwerg von Dichter, wenn er einer ist.13 An den deutschen Lustspielen – man sehe die widrigen Proben, noch dazu der bessern, von Krüger, Gellert und andern in Eschenburgs Beispielsammlung – zeigt der Grundsatz der bloßen Natur-Nachäffung die ganze Kraft seiner Gemeinheit. Es ist die Frage, ob die Deutschen noch ein ganzes Lustspiel haben, und nicht bloß einige Akte. Die Franzosen erscheinen uns daran reicher; aber hier wirkt Täuschung mit, weil fremde Narren und fremder Pöbel an sich, ohne den Dichter, einige poetische Ungemeinheit vorspiegeln.

– Die Briten hingegen sind reicher – obgleich derselbe ideale Trug der Auslandschaft mitwirkt; und ein einziges Buch könnte uns von der Wahrheit überführen. Nämlich Wallstaffs polite Gespräche von Swift malen bis zur Treue – die nur in Swifts parodierendem Geiste sich genial widerspiegelt – Englands Honoratioren gerade so gemeingeistlos ab, wie in den deutschen Lustspielen unsere auftreten; da nun aber diese Langweiligen nie in den englischen erscheinen: so sind folglich über dem Meere weniger die Narren als vielmehr die Lustspielschreiber geistreicher als bei uns. Das Feld der Wirklichkeit ist eben ein in Felder geschachtes Brett, auf welchem der Autor so gut die gemeine polnische Dame als das königliche Schachspiel, sobald er in einem Falle nur Steine, und im andern Figuren und Kunst, spielen kann.[37] Wie wenig Dichtung ein Kopierbuch des Naturbuchs sei, ersieht man am besten an den Jünglingen, die gerade dann die Sprache der Gefühle am schlechtesten reden, wenn diese in ihnen regieren und schreien, und welchen das zu starke Wasser das poetische Mühlenwerk gerade hemmt und nicht treibt, indes sie nach der falschen Maxime der Natur-Affen ja nichts brauchten, als nachzuschreiben, was ihnen vorgesprochen wird. Keine Hand kann den poetischen, lyrischen Pinsel fest halten und führen, in welcher der Fieberpuls der Leidenschaft schlägt. Der bloße Unwille macht zwar Verse, aber nicht die besten; selber die Satire wird durch Milde schärfer als durch Zorn, so wie Essig durch süße Rosinenstiele stärker säuert, durch bittern Hopfen aber umschlägt.

Weder der Stoff der Natur, noch weniger deren Form ist dem Dichter roh brauchbar. Die Nachahmung des erstern setzt ein höheres Prinzip voraus; denn jedem Menschen erscheint eine andere Natur; und es kommt nun darauf an, welchem die schönste erscheint. Die Natur ist für den Menschen in ewiger Menschwerdung begriffen, bis sogar auf ihre Gestalt; die Sonne hat für ihn ein Vollgesicht, der halbe Mond ein Halbgesicht, die Sterne doch Augen, alles lebt den Lebendigen; und es gibt im Universum nur Schein-Leichen, nicht Schein-Leben. Allein das ist eben der prosaische und poetische Unterschied oder die Frage, welche Seele die Natur beseele, ob ein Sklavenkapitän oder ein Homer.

In Rücksicht der nachzuahmenden Form stehen die poetischen Materialisten im ewigen Widerspruch mit sich und der Kunst und der Natur; und bloß, weil sie halb nicht wissen, was sie haben wollen, wissen sie folglich halb, was sie wollen. Denn sie erlauben wirklich den Versfuß auch in größter und jeder Leidenschaft (was allein schon wieder ein Prinzip für das Nachahm-Prinzip festsetzt) – und im Sturme des Affekts höchsten Wohllaut und einigen starken Bilderglanz der Sprache (wie stark aber, kommt auf Willkür der Rezension an) – ferner die Verkürzungen der Zeiten (doch mit Vorbehalt gewisser, d.h. ungewisser Rücksicht auf nachzuahmende Natur) – dann die Götter und Wunder des Epos und der Oper – die heidnische Götterlehre mitten in der jetzigen [38] Götterdämmerung14 – im Homer die langen Mordpredigten der Helden vor dem Morde – im Komischen die Parodie, obgleich bis zum Unsinn – in Don Quixote einen romantischen Wahnsinn, der unmöglich ist – in Sterne das kecke Eingreifen der Gegenwart in seine Selbstgespräche – in Thümmel und andern den Eintritt von Oden ins Gespräch und noch das übrige Zahllose. Aber ist es dann nicht ebenso schreiend – als mitten ins Singen zu reden –, gleichwohl in solche poetische Freiheiten die prosaische Leibeigenschaft der bloßen Nachahmung einzuführen und gleichsam im Universum Fruchtsperre und Warenverbote auszuschreiben? Ich meine, widerspricht man denn nicht sich und eignen Erlaubnissen und dem Schönen, wenn man dennoch in dieses sonnentrunkne Wunder-Reich, worin Göttergestalten aufrecht und selig gehen, über welches keine schwere Erden-Sonne scheint, wo leichtere Zeiten fliegen und andere Sprachen herrschen, wo es, wie hinter dem Leben, keinen rechten Schmerz mehr gibt, wenn in diese verklärte Welt die Wilden der Leidenschaft aussteigen sollten, mit dem rohen Schrei des Jubels und der Qual, wenn jede Blume darin so langsam und unter so vielem Grase wachsen müßte als auf der trägen Welt, wenn die Eisen-Räder und Eisen-Achse der schweren Geschicht und Säkular-Uhr, statt der himmlischen Blumen-Uhr15, die nur auf- und zuquillt und immer duftet, die Zeit länger mäße anstatt kürzer?

Denn wie das organische Reich das mechanische aufgreift, umgestaltet und beherrschet und knüpft, so übt die poetische Welt dieselbe Kraft an der wirklichen und das Geisterreich am Körperreich. Daher wundert uns in der Poesie nicht ein Wunder, sondern es gibt da keines, ausgenommen die Gemeinheit. Daher ist – bei gleichgesetzter Vortrefflichkeit – die poetische Stimmung auf derselben Höhe, ob sie ein echtes Lustspiel oder ein echtes Trauerspiel, sogar dieses mit romantischen Wundern auftut; und Wallensteins Träume geben dichterisch in nichts den Visionen[39] der Jungfrau von Orleans nach. Daher darf nie der höchste Schmerz, nie der höchste Himmel des Affekts sich so auf der Bühne äußern wie etwan in der ersten besten Loge, nämlich nie so einsilbig und arm. Ich meine dies: immer lassen die französischen und häufig die deutschen Tragiker die Windstöße der Affekten kommen und entweder sagen: o ciel, oder mon dieu, oder o dieux, oder hélas, oder gar nichts, oder, was dasselbe ist, eine Ohnmacht fällt ein. Aber ganz unpoetisch! Der Natur und Wahrheit gemäßer ist gewiß nichts als eben diese einsilbige Ohnmacht. Nur wäre auf diese Weise nichts lustiger zu malen als gerade das Schwerste; und der Abgrund und der Gipfel des Innersten ließen sich viel heller und leichter aufdecken als die Stufen dazu.

Allein da die Poesie gerade an die einsame Seele, die wie ein geborstenes Herz sich in dunkles Blut verbirgt, näher dringen und das leise Wort vernehmen kann, womit jede ihr unendliches Weh ausspricht oder ihr Wohl: so sei sie ein Shakespeare und bringe uns das Wort. Die eigne Stimme, welche der Mensch selber im Brausen der Leidenschaft betäubt verhört, entwische der Poesie so wenig als einer höchsten Gottheit der stummste Seufzer. Gibt es denn nicht Nachrichten, welche uns nur auf Dichter-Flügeln kommen können; gibt es nicht eine Natur, welche nur dann ist, wenn der Mensch nicht ist, und die er antizipiert? Wenn z.B. der Sterbende schon in jene finstere Wüste allein hingelegt ist, um welche die Lebendigen ferne, am Horizont, wie tiefe Wölkchen, wie eingesunkne Lichter stehen, und er in der Wüste einsam lebt und stirbt: dann erfahren wir nichts von seinen letzten Gedanken und Erscheinungen – – Aber die Poesie zieht wie ein weißer Strahl in die tiefe Wüste, und wir sehen in die letzte Stunde des Einsamen hinein.[40]

 

Fußnoten

 

11 Aus diesem Grunde gibt Klopstocks Rach-Ode gegen Carrier »die Vergeltung« dem Geiste keinen poetischen Frieden; das Ungeheuer erneuert sich ewig; und die kannibalische Rache an ihm martert das fremde Auge ohne Erfolg, und die Strafe ahmet dem Verbrecher die prosaische Grausamkeit in poetischer nach.

12 Vor einiger Zeit wurde auch ein Preis auf die Besinnung von Sodoms Untergang gesetzt.

13 Bloß die Forderung der poetischen Übermacht und nicht der Menschenkenntnis machen das Lustspiel so selten und es dem Jünglinge so schwer. Aristophanes hätte sehr gut eines im 15 1/2. Jahre und Shakespeare eines im 20ten schreiben können.

14 Mit diesem schön-fürchterlichen Ausdruck bezeichnet die nordische Mythologie den Jüngsten Tag, wo der oberste Gott die übrigen Götter zerstört.

15 Bekanntlich lässet sich die Folge des Auf- und Zuschließens der Blumen nach Linné zu einer Stundenmessung gebrauchen.

 

§ 4
Nähere Bestimmung der schönen Nachahmung der Natur

In dieser Ansicht liegt zugleich die Bestimmung, was schöne (geistige) Nachahmung der Natur sei. Mit einer trockenen Sacherklärung der Schönheit reicht man nicht weit. Die Kantische: »das[40] sei schön, was allgemein ohne Begriff gefalle« legt in das »Gefallen«, das sie vom Angenehmsein absondert, schon das hinein, was eben zu erklären war. Der Beisatz »ohne Begriff« gilt für alle Empfindungen, so wie auf den andern »allgemein«, den noch dazu die Erfahrung oft ausstreicht, ebenfalls alle Empfindungen, ja alle geistige Zustände heimlich Anspruch machen. Kant, welcher eigensinnig genug nur der Zeichnung Schönheit, der Farbe16 aber bloß Reiz zugestand, nimmt seine Erläuterungen dazu immer aus den zeichnenden und bildenden Künsten hervor. Was ist denn poetische Schönheit, durch welche selber eine gemalte oder gebildete höher aufglänzen kann? Die angenommne Kluft zwischen Natur-Schönheit und zwischen Kunst-Schönheit gilt in ihrer ganzen Breite nur für die dichterische; aber Schönheiten der bildenden Künste könnten allerdings zuweilen schon von der Natur geschaffen werden, wenn auch nur so selten als die genialen Schöpfer derselben selber. Übrigens gehört einer Poetik darum die Erklärung der Schönheit schwerlich voran, weil diese Göttin in der Dichtkunst ja auch andere Götter neben sich hat, das Erhabene, das Rührende, das Komische etc.