Ein Revisor der Ästhetik17 macht eine öde leere Definition des Schönen von Delbrück18 mit Vergnügen zur seinigen (für Delbrück eine mäßige Schmeichelei, welcher als ein zarter scharfer Kunstliebhaber und Kunstrichter, z.B. Klopstocks und Goethens, zu ehren ist), und diese Definition lautet wörtlich (außerhalb meiner Einklammerungen) so: »Das Schöne besteht in einer zweckmäßigen, zusammenstimmenden Mannigfaltigkeit von Ideen (setzen hier nicht beide Beiwörter gerade das voraus, was zu erklären ist, gleichsam als ob man sagte: eine zur Schönheit zusammenstimmende Mannigfaltigkeit?), welche die Phantasie in sich hervorruft (wie unbestimmt! und womit und woraus?), um zu einem gegebnen Begriff[41] (zu welchem? oder zu jedem?) viel Unnennbares (warum gerade viel? – Unnennbares wäre genug; ferner welches Unnennbare?) hinzuzudenken, mehr als auf der einen Seite darin angeschaut, und auf der andern Seite darin deutlich gedacht werden kann (deutlich? In dem Unnennbaren liegt ja schon das Nichtdeutliche. Aber was ist denn dies für ein Mehr, das weder zu schauen, noch deut lich zu denken ist? Und welche Grenze hat dieses relative Mehr?); – das Wohlgefallen an demselben wird hervorgebracht durch ein freies und doch regelmäßiges Spiel der Phantasie in Einstimmung mit dem Verstande (Letztes lag schon in ›regelmäßig‹; aber wie wenig ist ›Spiel‹ und bloße ›Einstimmung‹ charakteristisch!).«- Der Revisor der Ergänzblätter knüpft dieser Definition seine kürzere an: »Die schöne Kunst entspringt als schöne Kunst aus einer Vorstellungart durch ästhetische Ideen.« Da in »ästhetisch« das ganze Definitium (die Schönheit) schon fertig liegt: so ist der Definition, so wie jedem identischen Satze, eine gewisse Wahrheit nicht zu nehmen.
Nur noch eine werde beschauet; denn wer wollte seine Schreib- und Leszeit an Prüfungen alles Gedruckten verschwenden? Schönheit, sagt Hemsterhuis, ist, was größte Ideenzahl in kleinster Zeit gewährt; eine Erklärung, welche an die ältere: »sinnliche Einheit im Mannigfaltigen« und an die spätere: »freies Spiel der Phantasie« angrenzt. Die Frage falle weg, wie überhaupt Ideen nach der Zeit zu messen sind, da jene diese selber erst messen. Aber überhaupt ist jede Idee nur ein Terzien-Blitz; sie festhalten heißt sie auseinanderlegen, also in ihre Teile, Grenzen, Folgen, und heißt mithin eben nicht mehr sie festhalten, sondern ihre Sippschaft und Nachbarschaft durchlaufen. Außerdem müßte die Ideenfülle im kürzesten Zeitraum, welche z.B. auch der Überblick eingelernter mathematischer oder philosophischer Kettenrechnungen gewährt, durch ein absonderndes Abzeichen erst der Schönheit zubeschieden werden – und endlich, wenn nun jemand definierte: Häßlichkeit ist, was größte Ideenzahl in kleinster Zeit darreicht? Denn ein Oval stillt und füllt mein Auge, aber ein Linien-Zerrstück bereichert es mit betäubender Mannigfaltigkeit von an- und wegfliegenden Ideen, weil der[42] Gegenstand zugleich soll begriffen, bestritten, geflohen und gelöset werden. Man könnte Hemsterhuis' Definition vielleicht so ausdrücken, Schönheit sei, wie es einen Zirkel der Logik gibt, der Zirkel der Phantasie, weil der Kreis die reichste, einfachste, unerschöpflichste, leichtfaßlichste Figur ist; aber der wirkliche Zirkel ist ja selber eine Schönheit, und so würde die Definition (wie leider jede) ein logischer. –
Wir kommen zum Grundsatze der poetischen Nachahmung zurück. Wenn in dieser das Abbild mehr als das Urbild enthält, ja sogar das Widerspiel gewährt – z.B. ein gedichtetes Leiden Lust –: so entsteht dies, weil eine doppelte Natur zugleich nachgeahmt wird, die äußere und die innere, beide ihre Wechselspiegel. Man kann dieses mit einem scharfsinnigen Kunstrichter19 sehr gut »Darstellung der Ideen durch Naturnachahmung« nennen. Das Bestimmtere gehört in den Artikel vom Genie. Die äußere Natur wird in jeder innern eine andere, und diese Brotverwandlung ins Göttliche ist der geistige poetische Stoff, welcher, wenn er echt poetisch ist, wie eine anima Stahlii seinen Körper (die Form) selber bauet, und ihn nicht erst angemessen und zugeschnitten bekommt. Dem Nihilisten mangelt der Stoff und daher die belebte Form; dem Materialisten mangelt belebter Stoff und daher wieder die Form; kurz, beide durchschneiden sich in Unpoesie. Der Materialist hat die Erdscholle, kann ihr aber keine lebendige Seele einblasen, weil sie nur Scholle, nicht Körper ist; der Nihilist will beseelend blasen, hat aber nicht einmal Scholle. Der rechte Dichter wird in seiner Vermählung der Kunst und Natur sogar dem Parkgärtner, welcher seinem Kunstgarten die Naturumgebungen gleichsam als schrankenlose Fortsetzungen desselben anzuweben weiß, nachahmen, aber mit einem höhern Widerspiele, und er wird begrenzte Natur mit der Unendlichkeit der Idee umgeben und jene wie auf einer Himmelfahrt in diese verschwinden lassen.[43]
Fußnoten
16 Die Beschreibung des Schönen als eines allgemein Gefallenden ohne Begriff legt sich noch fester den Farben als den Umrissen an, wie alle Kinder und Wilde beweisen, welche das tote Schwarz dem lebendigen Rot und Grün nachsetzen, indes der Genuß der schönen Zeichnung ja an den Völkern nach deren Begriffen wechselt.
17 Im Ergänzungsblatte der Allg. Literatur-Zeitung. 1806. S. 67.
18 Delbrück über das Schöne.
19 Der Rezensent der Vorschule in der Jenaer Literaturzeitung.
§ 5
Gebrauch des Wunderbaren
Alles wahre Wunderbare ist für sich poetisch. Aber an den verschiedenen Mitteln, diesen Mondschein in ein Kunstgebäude fallen zu lassen, zeigen sich die beiden falschen Prinzipien der Poesie und das wahre am deutlichsten. Das erste oder materielle Mittel ist, das Mondlicht einige Bände später in alltägliches Taglicht zu verwandeln, d.h. das Wunder durch Wieglebs Magie zu entzaubern und aufzulösen in Prose. Dann findet freilich eine zweite Lesung an der Stelle der organischen Gestalt nur eine papierne, statt der poetischen Unendlichkeit dürftige Enge; und Ikarus liegt ohne Wachs mit den dürren Federkielen auf dem Boden. Gern hätte man z.B. Goethen das Aufsperren seines Maschinenkabinetts und das Aufgraben der Röhren erlassen, aus welchen das durchsichtige bunte Wasserwerk aufflatterte. Ein Taschenspieler ist kein Dichter, ja sogar jener selber ist nur so lange etwas wert und poetisch, als er seine Wunder noch nicht durch Auflösung getötet hat; kein Mensch wird erklärten Kunststücken zuschauen.
Andere Dichter nehmen den zweiten Irrweg, nämlich den, ihre Wunder nicht zu erklären, sondern nur zu erfinden, was gewiß recht leicht ist und daher an und für sich unrecht; denn allem, was ohne Begeisterung leicht wird, muß der Dichter mißtrauen und entsagen, weil es die Leichtigkeit der Prose ist. Ein fortgehendes Wunder ist aber eben darum keines, sondern eine luftigere, zweite Natur, in welcher aus Regellosigkeit keine schöne Unterbrechung einer Regel machbar ist. Eigentlich ist eine solche Dichtung eine widersprechende Annahme entgegengesetzter Bedingungen, der Verwechslung des materiellen Wunderbaren mit dem idealen, eine Mischung wie auf alten Tassen, halb Wort halb Bild.
Aber es gibt noch ein Drittes, nämlich den hohen Ausweg, daß der Dichter das Wunder weder zerstöre, wie ein exegetischer Theolog, noch in der Körperwelt unnatürlich festhalte, wie ein Taschenspieler, sondern daß er es in die Seele lege, wo allein es[44] neben Gott wohnen kann.
1 comment