Die Eine hatte einen braunen Fächer und hielt ihn geschlossen an die Lippen. Die Andere hatte einen gelben Fächer und hielt ihn ausgebreitet wie ein welkes Ahornblatt.
Das junge Mädchen sass zwischen ihren Schwestern und leuchtete – – –.
Im dritten Akte sagte Fromont zu Sidonie, welche in einem weissen seidenen Schlafrocke auf der Chaiselongue lag: »Wem verdanken Sie Ihren Reichthum, Madame?! Ihrem Gatten oder Ihrem Geliebten?!«
»Beiden – – –« erwiderte Sidonie.
Die junge Comtesse erlosch. Sie verschwamm gleichsam mit dem dunkelbraunen seidenen Hintergrunde der Loge, wurde wie Dämmerung, zerrann, verlöschte. Die Schwester links breitete ihren braunen Fächer aus wie ein welkes Kastanienblatt. Die Schwester rechts hielt den gelben Fächer geschlossen an die Lippen.
Im letzten Akte deklamirte die süsse Désiré: »Ich liebe dich – – – ich liebe dich.«
Die junge Comtesse sass da und leuchtete – – –.
Der braune Fächer und der gelbe Fächer lagen geschlossen in dem Schoosse der Schwestern.
Es geht zu Ende
Sonniger Herbsttag – – –. An sonnigen Stellen Wärme, Hitze – – an schattigen Stellen Keller-Kälte. Es duftet nach welken Blättern und frischer feuchter Erde. Auf den Uferwiesen stehen kurze dünne helliotropefarbige Striche, Colchicum autumnale.
Braune Libellen baden im Sonnenlichte – – –. Auf der weissen Strasse zwischen den dunkelbraunen Holzbirnbäumen, fährt der Herzog mit seinem Sohne in einer offenen Equipage. Ein Tigerfell liegt über ihre Füsse. Wie sie an dem kleinen sonnengebadeten Friedhofe vorbeikommen, ziehen sie tief die Hüte ab.
Der Diener am Bock macht das Kreuz.
Nur der fette Kutscher sitzt unbeweglich – – er ist im Amte. Er starrt auf die weisse sonnige Strasse mit den Herbstblättern – – –.
Im Garten einer Villa blühen rothe und gelbe Georginen.
Auf einer Bank, in der Herbstsonne, sitzt ein junges Mädchen.
Es träumt: »Wird man heuer die Ballkleider rund ausgeschnitten tragen?!«
Die Georginen werden in allen Farben gezogen – das sind die Harmonieen der Kultur.
Im herzoglichen Garten stehen sie in dicken Büschen, roth und gelb gesprenkelt, weiss und lila, rosa und rostroth, wie Bordeaux-Wein und Safran, wie Alpenglühen und Zimmtfarbe – – –.
Die Equipage fährt ein durch das schmiedeeiserne Gitterthor mit den goldenen Rosetten, der Diener springt vom Bock. Der alte Herzog und der junge Herzog steigen aus. Der Diener verbeugt sich tief.
Nur der fette Kutscher sitzt unbeweglich. Er starrt auf die weisse sonnige Allee mit ihren Herbstblättern – – –. Er ist im Amte.
Die hellen Birken zittern. In den Lüften schreien die Krähen »kraa – – kraa!«
Die Georginen stehen da in allen Farben, die hellen glänzen wie Butter, die dunklen sind matt wie Sammt.
Hochadel und Villenbesitzer! Ihr sitzt noch in den Gärten in der Herbstsonne und fahrt auf den Landstrassen in den Equipagen – – –! Ihr dürft noch die goldenen Lichter der letzten Herbsttage trinken, Ihr, die Georginen und die Krähen – – – kraa!
Herbstabend
Die Wellen des See's pritscheln leise an den Ufersteinen – – –.
Das wunderschöne Hôtel am See-Ufer schläft den langen Herbstschlaf, den Winderschlaf. Die weissen Fensterläden sind geschlossen. Der grüne Laubengang ist ein bischen gelb geworden und durchsichtig – – –.
Wo ist das Fräulein?! Wo der liebende Jüngling?! Wo ist der »Grieche«?! Wo sind Margueritta und Rositta und der Herr von Bergmann mit den krummen Beinchen?!
Wo ist die braunblonde Fischerin?! Wo der Amerikaner und die Russin?! Wo ist die Dame und ihr »Familienglück«?!
Der Herbst hat sie verweht wie die gelben Blätter im Parke der Königin – – –!
Die Wellen des See's pritscheln leise an den Ufersteinen – –. Und die 38 Schwäne ruhen im Kreise nebeneinander auf der glattgeschliffenen schwarzen Onyxfläche – – –.
Sie schreien hie und da in die Nacht hinaus: »irrra irrra – – – –.«
Aber in den Sommernächten haben sie es sanft gesungen: »irrra irrra – – –.«
Sie wissen eben auch, dass die Saison zu Ende ist – – – irrra!
At Home
Grillparzerstrasse, eine breite lichte Gasse, welche Oktobersonne trank und in die gelben Flächen der Häuser einschlürfte, dass die Sonnentropfen auf den Spiegelfenstern spritzten. Das Holzstöckelpflaster erinnerte den Fuss an feste braune Waldwege.
In dem dumpfigen Stiegenhause stampften müde Männer in milchblauen Blousen. Oben im zweiten Stock waren die Thüren weit geöffnet. Es roch nach Thüranstrich und Dienstbotenkaffee.
In den Débâcles der Hauswirthschaft sitzen die Dienstboten ruhig auf Sesseln aus weichem Holz und trinken Punkt fünf den Jausenkaffee aus dicken weissen Schalen.
Und wenn einst Alles in Trümmer sinkt und Asche, wird sich aus dem Schutt des Hauses noch das hellbraune Rauchwölkchen des Dienstbotenkaffee's friedlich emporschlängeln!
Die Dienstboten! Hasserfüllt verlassen sie im Frühjahr die Stadt und ziehen mit stupider Hoffnung in die Wälder, in die Berge – – –.
So verlassen sie hasserfüllt im Herbst das elende Land und ziehen mit stupider Hoffnung in den Stadtkerker ein –.
Die Wohnung schläft, eingehüllt in graue Tücher und moosgrünen Organtin, ungewaschen, unfrisirt, im dumpfen Schlaf des Naphtalin-Rausches.
Plötzlich rasseln im Oktober die weissen Jalousieen hinauf.
Die Hausfrau betrachtet die Schläferin mit feindlichen Blicken: »Dich zu neuem gemüthlichem Leben erwecken, dumpfe Sybaritin – – –?!«
Jedesfalls bindet sie sich das rothseidene Tuch um den Kopf – – –.
Fräulein Margarethe sitzt in ihrem Zimmerchen mit der kühlen Oktoberluft, den dunkelbraunen Tapeten mit den tausend gepressten goldenen Chrysanthemen und dem staubigen hellbraunen Thonofen mit den Goldlinien.
Auf ihrem Antlitz liegen die Farben des »pleinair«. Sie schält mit einem goldenen Messerchen eine Isenbartbirne und reiht die feuchten saftigen Stückchen auf ein weisses Tellerchen. Dann steckt sie eins nach dem anderen in den Mund, lässt sie zerschmelzen, vergehen und feiert eine edle stille Orgie der Geschmacksnerven.
Um sie herum tobt die Schlacht.
Thüren donnern, krachen, graue fetzige Standarten fliegen, das Regiment »Milchbau« stampft todesmuthig heran – – –.
»Stossen Sie nicht den Thüranstrich ab – –« schreit der Feldherr mit dem rothseidenen Helme und ist, wie man sich auszudrücken pflegt, »überall und nirgends« – – –.
In ungeheurer Ruhe sitzt das junge holde Geschöpf in seinen Zimmerchen mit der kühlen Oktoberluft, den dunkelbraunen Tapeten mit den tausend gepressten goldenen Chrysanthemen und dem staubigen hellbraunen Thonofen mit den Goldlinien.
Die Birne auf dem weissen Tellerchen ist verschwunden – – –. Das junge Mädchen erhebt sich langsam, geht zum Fenster, stützt die Ellbogen auf und den Kopf in die Hände – – –.
Dämmerung.
Drüben, an der riesigen braunen Wand des Hauses schimmern hellerleuchtete Fenster.
Weissgrünes Leuchten vom Auerlicht, goldgelbes von den kleinen elektrischen Glasbirnen, mattes flackerndes vom traurigen Gas, rosenrothes und flaschengrünes von den riesigen seidenen Schirmen der englischen Stehlampen – – –.
Von den Stadtgärten und Wiesen zieht ein matter Duft in die Strasse herein – –.
Wie Land-Melancholie, wie ein letzter Gruss vom Sommerfrieden – – –!
»Wo ist mein Bett, meine Decke, mein Polster, mein Plümeau – – –?!« sagt das Fräulein und wendet sich nach dem Stubenmädchen um.
»Ich werde heute zeitlich schlafen gehen, ich bin müde – – –.«
Sie hat feucht schimmernde Augen – – –.
Allmählich verstummt der Donner der Geschütze und das Regiment »Milchblau« zieht ab.
Der Abend senkt den Frieden über das Schlachtfeld. Der siegreiche Feldherr nimmt das rothseidene Kopftuch ab und die Lagerfeuer der Lampen und Kerzen erglänzen durch die stille Nacht – – –.
Das Fräulein träumte: »Adieu Sommer – – –!«
Die Zuckerfabrik
Ein ungeheurer Hof. An den Mauerpforten sassen die ärarischen Zuckerbeamten und rauchten ärarischen Tabak aus kurzen Pfeifen.
Es roch nach Oel-Schmiere und verwesendem Rüben-Brei.
Hie und da kam ein Duft von nasser Wäsche, von Suppe, von weissen Akazien.
Draussen lag die Ebene und sonnte sich.
Hellblaue wunderbare Flachsfelder, hellgrüne modefarbige Kukuruzfelder, braungrüne Kartoffelfelder.
Ueberhaupt Felder, Felder, Felder – – –.
Lange Reihen von weissen Akazienbäumen zu beiden Seiten breiter Feldstrassen.
Frische Winde strichen über die ungeheure Ebene und in der Ferne lag ein Wäldchen von Tannenbäumen – – –.
Irgendwo sang ein Vogel: »trrrr – – trrrr – – trrrr – –«
Das Fräulein »Schwarzkirscherl« ging langsam zwischen den Akazien auf der breiten Feldstrasse.
Sie verstand Alles.
Die Natur, die weite blühende Ebene sprachen zu ihr und sie verstand Alles – – –.
Nachmittags sass sie träge im Gärtchen, vor dem kleinen weissen Beamtenhause. Es war ein Gemüsegärtchen. Lauter ganz kleine Felder mit Suppenkräutern.
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