Ich half mir mit
Pappe, Farbe und Papier, wußte gar trefflich Nacht zu machen, der
Blitz war fürchterlich anzusehen, nur der Donner gelang nicht immer,
doch das hatte so viel nicht zu sagen. Auch fand sich in den Opern
mehr Gelegenheit, meinen David und Goliath anzubringen, welches im
regelmäßigen Drama gar nicht angehen wollte. Ich fühlte täglich mehr
Anhänglichkeit für das enge Plätzchen, wo ich so manche Freude genoß;
und ich gestehe, daß der Geruch, den die Puppen aus der Speisekammer
an sich gezogen hatten, nicht wenig dazu beitrug.
Die Dekorationen meines Theaters waren nunmehr in ziemlicher
Vollkommenheit; denn daß ich von Jugend auf ein Geschick gehabt hatte,
mit dem Zirkel umzugehen, Pappe auszuschneiden und Bilder zu
illuminieren, kam mir jetzt wohl zustatten. Um desto weher tat es mir,
wenn mich gar oft das Personal an Ausführung großer Sachen hinderte.
Meine Schwestern, indem sie ihre Puppen aus- und ankleideten, erregten
in mir den Gedanken, meinen Helden auch nach und nach bewegliche
Kleider zu verschaffen. Man trennte ihnen die Läppchen vom Leibe,
setzte sie, so gut man konnte, zusammen, sparte sich etwas Geld,
kaufte neues Band und Flittern, bettelte sich manches Stückchen Taft
zusammen und schaffte nach und nach eine Theatergarderobe an, in
welcher besonders die Reifröcke für die Damen nicht vergessen waren.
Die Truppe war nun wirklich mit Kleidern für das größte Stück versehen,
und man hätte denken sollen, es würde nun erst recht eine Aufführung
der andern folgen; aber es ging mir, wie es den Kindern öfter zu gehen
pflegt: sie fassen weite Plane, machen große Anstalten, auch wohl
einige Versuche, und es bleibt alles zusammen liegen. Dieses Fehlers
muß ich mich auch anklagen. Die größte Freude lag bei mir in der
Erfindung und in der Beschäftigung der Einbildungskraft. Dies oder
jenes Stück interessierte mich um irgendeiner Szene willen, und ich
ließ gleich wieder neue Kleider dazu machen. Über solchen Anstalten
waren die ursprünglichen Kleidungsstücke meiner Helden in Unordnung
geraten und verschleppt worden, daß also nicht einmal das erste große
Stück mehr aufgeführt werden konnte. Ich überließ mich meiner
Phantasie, probierte und bereitete ewig, baute tausend Luftschlösser
und spürte nicht, daß ich den Grund des kleinen Gebäudes zerstört
hatte."
Während dieser Erzählung hatte Mariane alle ihre Freundlichkeit gegen
Wilhelm aufgeboten, um ihre Schläfrigkeit zu verbergen. So scherzhaft
die Begebenheit von einer Seite schien, so war sie ihr doch zu einfach
und die Betrachtungen dabei zu ernsthaft. Sie setzte zärtlich ihren
Fuß auf den Fuß des Geliebten und gab ihm scheinbare Zeichen ihrer
Aufmerksamkeit und ihres Beifalls. Sie trank aus seinem Glase, und
Wilhelm war überzeugt, es sei kein Wort seiner Geschichte auf die Erde
gefallen. Nach einer kleinen Pause rief er aus, "Es ist nun an dir,
Mariane, mir auch deine ersten jugendlichen Freuden mitzuteilen. Noch
waren wir immer zu sehr mit dem Gegenwärtigen beschäftigt, als daß wir
uns wechselseitig um unsere vorige Lebensweise hätten bekümmern können.
Sage mir: unter welchen Umständen bist du erzogen? Welche sind die
ersten lebhaften Eindrücke, deren du dich erinnerst?"
Diese Fragen würden Marianen in große Verlegenheit gesetzt haben, wenn
ihr die Alte nicht sogleich zu Hülfe gekommen wäre. "Glauben Sie
denn", sagte das kluge Weib, "daß wir auf das, was uns früh begegnet,
so aufmerksam sind, daß wir so artige Begebenheiten zu erzählen haben
und, wenn wir sie zu erzählen hätten, daß wir der Sache auch ein
solches Geschick zu geben wüßten?"
"Als wenn es dessen bedürfte!" rief Wilhelm aus. "Ich liebe dieses
zärtliche, gute, liebliche Geschöpf so sehr, daß mich jeder Augenblick
meines Lebens verdrießt, den ich ohne sie zugebracht habe. Laß mich
wenigstens durch die Einbildungskraft teil an deinem vergangenen Leben
nehmen! Erzähle mir alles, ich will dir alles erzählen. Wir wollen
uns wo möglich täuschen und jene für die Liebe verlornen Zeiten
wiederzugewinnen suchen."
"Wenn Sie so eifrig darauf bestehen, können wir Sie wohl befriedigen",
sagte die Alte. "Erzählen Sie uns nur erst, wie Ihre Liebhaberei zum
Schauspiele nach und nach gewachsen sei, wie Sie sich geübt, wie Sie
so glücklich zugenommen haben, daß Sie nunmehr für einen guten
Schauspieler gelten können. Es hat Ihnen dabei gewiß nicht an
lustigen Begebenheiten gemangelt. Es ist nicht der Mühe wert, daß wir
uns zur Ruhe legen, ich habe noch eine Flasche in Reserve; und wer
weiß, ob wir bald wieder so ruhig und zufrieden zusammensitzen?"
Mariane schaute mit einem traurigen Blick nach ihr auf, den Wilhelm
nicht bemerkte und in seiner Erzählung fortfuhr.
I. Buch, 7. Kapitel
Siebentes Kapitel
"Die Zerstreuungen der Jugend, da meine Gespanschaft sich zu vermehren
anfing, taten dem einsamen, stillen Vergnügen Eintrag. Ich war
wechselsweise bald Jäger, bald Soldat, bald Reiter, wie es unsre
Spiele mit sich brachten: doch hatte ich immer darin einen kleinen
Vorzug vor den andern, daß ich imstande war, ihnen die nötigen
Gerätschaften schicklich auszubilden. So waren die Schwerter meistens
aus meiner Fabrik; ich verzierte und vergoldete die Schlitten, und ein
geheimer Instinkt ließ mich nicht ruhen, bis ich unsre Miliz ins
Antike umgeschaffen hatte. Helme wurden verfertiget, mit papiernen
Büschen geschmückt, Schilde, sogar Harnische wurden gemacht, Arbeiten,
bei denen die Bedienten im Hause, die etwa Schneider waren, und die
Nähterinnen manche Nadel zerbrachen.
Einen Teil meiner jungen Gesellen sah ich nun wohlgerüstet; die
übrigen wurden auch nach und nach, doch geringer, ausstaffiert, und es
kam ein stattliches Korps zusammen. Wir marschierten in Höfen und
Gärten, schlugen uns brav auf die Schilde und auf die Köpfe; es gab
manche Mißhelligkeit, die aber bald beigelegt war.
Dieses Spiel, das die andern sehr unterhielt, war kaum etlichemal
getrieben worden, als es mich schon nicht mehr befriedigte. Der
Anblick so vieler gerüsteten Gestalten mußte in mir notwendig die
Ritterideen aufreizen, die seit einiger Zeit, da ich in das Lesen
alter Romane gefallen war, meinen Kopf anfüllten.
"Das befreite Jerusalem", davon mir Koppens Übersetzung in die Hände
fiel, gab meinen herumschweifenden Gedanken endlich eine bestimmte
Richtung. Ganz konnte ich zwar das Gedicht nicht lesen; es waren aber
Stellen, die ich auswendig wußte, deren Bilder mich umschwebten.
Besonders fesselte mich Chlorinde mit ihrem ganzen Tun und Lassen.
Die Mannweiblichkeit, die ruhige Fülle ihres Daseins taten mehr
Wirkung auf den Geist, der sich zu entwickeln anfing, als die
gemachten Reize Armidens, ob ich gleich ihren Garten nicht verachtete.
Aber hundert- und hundertmal, wenn ich abends auf dem Altan, der
zwischen den Giebeln des Hauses angebracht ist, spazierte, über die
Gegend hinsah und von der hinabgewichenen Sonne ein zitternder Schein
am Horizont heraufdämmerte, die Sterne hervortraten, aus allen Winkeln
und Tiefen die Nacht hervordrang und der klingende Ton der Grillen
durch die feierliche Stille schrillte, sagte ich mir die Geschichte
des traurigen Zweikampfs zwischen Tankred und Chlorinden vor.
Sosehr ich, wie billig, von der Partei der Christen war, stand ich
doch der heidnischen Heldin mit ganzem Herzen bei, als sie unternahm,
den großen Turm der Belagerer anzuzünden.
1 comment