Und wie nun Tankred dem
vermeinten Krieger in der Nacht begegnet, unter der düstern Hülle der
Streit beginnt und sie gewaltig kämpfen!—Ich konnte nie die Worte
aussprechen:
"Allein das Lebensmaß Chlorindens ist nun voll,
Und ihre Stunde kommt,
in der sie sterben soll!",
daß mir nicht die Tränen in die Augen kamen, die reichlich flossen,
wie der unglückliche Liebhaber ihr das Schwert in die Brust stößt, der
Sinkenden den Helm löst, sie erkennt und zur Taufe bebend das Wasser
holt.
Aber wie ging mir das Herz über, wenn in dem bezauberten Walde
Tankredens Schwert den Baum trifft, Blut nach dem Hiebe fließt und
eine Stimme ihm in die Ohren tönt, daß er auch hier Chlorinden
verwunde, daß er vom Schicksal bestimmt sei, das, was er liebt,
überall unwissend zu verletzen!
Es bemächtigte sich die Geschichte meiner Einbildungskraft so, daß
sich mir, was ich von dem Gedichte gelesen hatte, dunkel zu einem
Ganzen in der Seele bildete, von dem ich dergestalt eingenommen war,
daß ich es auf irgendeine Weise vorzustellen gedachte. Ich wollte
Tankreden und Reinalden spielen und fand dazu zwei Rüstungen ganz
bereit, die ich schon gefertiget hatte. Die eine, von dunkelgrauem
Papier mit Schuppen, sollte den ernsten Tankred, die andere, von
Silber- und Goldpapier, den glänzenden Reinald zieren. In der
Lebhaftigkeit meiner Vorstellung erzählte ich alles meinen Gespanen,
die davon ganz entzückt wurden und nur nicht wohl begreifen konnten,
daß das alles aufgeführt, und zwar von ihnen aufgeführt werden sollte.
Diesen Zweifeln half ich mit vieler Leichtigkeit ab. Ich disponierte
gleich über ein paar Zimmer in eines benachbarten Gespielen Haus, ohne
zu berechnen, daß die alte Tante sie nimmermehr hergeben würde; ebenso
war es mit dem Theater, wovon ich auch keine bestimmte Idee hatte,
außer daß man es auf Balken setzen, die Kulissen von geteilten
spanischen Wänden hinstellen und zum Grund ein großes Tuch nehmen
müsse. Woher aber die Materialien und Gerätschaften kommen sollten,
hatte ich nicht bedacht.
Für den Wald fanden wir eine gute Auskunft: wir gaben einem alten
Bedienten aus einem der Häuser, der nun Förster geworden war, gute
Worte, daß er uns junge Birken und Fichten schaffen möchte, die auch
wirklich geschwinder, als wir hoffen konnten, herbeigebracht wurden.
Nun aber fand man sich in großer Verlegenheit, wie man das Stück, eh
die Bäume verdorrten, zustande bringen könne. Da war guter Rat teuer!
Es fehlte an Platz, am Theater, an Vorhängen. Die spanischen Wände
waren das einzige, was wir hatten.
In dieser Verlegenheit gingen wir wieder den Lieutenant an, dem wir
eine weitläufige Beschreibung von der Herrlichkeit machten, die es
geben sollte. Sowenig er uns begriff, so behilflich war er, schob in
eine kleine Stube, was sich von Tischen im Hause und der Nachbarschaft
nur finden wollte, aneinander, stellte die Wände darauf, machte eine
hintere Aussicht von grünen Vorhängen, die Bäume wurden auch gleich
mit in die Reihe gestellt.
Indessen war es Abend geworden, man hatte die Lichter angezündet, die
Mägde und Kinder saßen auf ihren Plätzen, das Stück sollte angehn, die
ganze Heldenschar war angezogen; nun spürte aber jeder zum erstenmal,
daß er nicht wisse, was er zu sagen habe. In der Hitze der Erfindung,
da ich ganz von meinem Gegenstande durchdrungen war, hatte ich
vergessen, daß doch jeder wissen müsse, was und wo er es zu sagen habe;
und in der Lebhaftigkeit der Ausführung war es den übrigen auch nicht
beigefallen: sie glaubten, sie würden sich leicht als Helden
darstellen, leicht so handeln und reden können wie die Personen, in
deren Welt ich sie versetzt hatte. Sie standen alle erstaunt, fragten
sich einander, was zuerst kommen sollte, und ich, der ich mich als
Tankred vornean gedacht hatte, fing, allein auftretend, einige Verse
aus dem Heldengedichte herzusagen an. Weil aber die Stelle gar zu
bald ins Erzählende überging und ich in meiner eignen Rede endlich als
dritte Person vorkam, auch der Gottfried, von dem die Sprache war,
nicht herauskommen wollte, so mußte ich unter großem Gelächter meiner
Zuschauer eben wieder abziehen: ein Unfall, der mich tief in der Seele
kränkte. Verunglückt war die Expedition; die Zuschauer saßen da und
wollten etwas sehen. Gekleidet waren wir; ich raffte mich zusammen
und entschloß mich kurz und gut, "David und Goliath" zu spielen.
Einige der Gesellschaft hatten ehemals das Puppenspiel mit mir
aufgeführt, alle hatten es oft gesehn; man teilte die Rollen aus, es
versprach jeder, sein Bestes zu tun, und ein kleiner drolliger Junge
malte sich einen schwarzen Bart, um, wenn ja eine Lücke einfallen
sollte, sie als Hanswurst mit einer Posse auszufüllen, eine Anstalt,
die ich, als dem Ernste des Stückes zuwider, sehr ungern geschehen
ließ. Doch schwur ich mir, wenn ich nur einmal aus dieser
Verlegenheit gerettet wäre, mich nie, als mit der größten Überlegung,
an die Vorstellung eines Stücks zu wagen."
I. Buch, 8. Kapitel
Achtes Kapitel
Mariane, vom Schlaf überwältigt, lehnte sich an ihren Geliebten, der
sie fest an sich drückte und in seiner Erzählung fortfuhr, indes die
Alte den Überrest des Weins mit gutem Bedachte genoß.
"Die Verlegenheit", sagte er, "in der ich mich mit meinen Freunden
befunden hatte, indem wir ein Stück, das nicht existierte, zu spielen
unternahmen, war bald vergessen. Meiner Leidenschaft, jeden Roman,
den ich las, jede Geschichte, die man mich lehrte, in einem
Schauspiele darzustellen, konnte selbst der unbiegsamste Stoff nicht
widerstehen. Ich war völlig überzeugt, daß alles, was in der
Erzählung ergötzte, vorgestellt eine viel größere Wirkung tun müsse;
alles sollte vor meinen Augen, alles auf der Bühne vorgehen. Wenn uns
in der Schule die Weltgeschichte vorgetragen wurde, zeichnete ich mir
sorgfältig aus, wo einer auf eine besondere Weise erstochen oder
vergiftet wurde, und meine Einbildungskraft sah über Exposition und
Verwicklung hinweg und eilte dem interessanten fünften Akte zu. So
fing ich auch wirklich an, einige Stücke von hinten hervor zu
schreiben, ohne daß ich auch nur bei einem einzigen bis zum Anfange
gekommen wäre.
Zu gleicher Zeit las ich, teils aus eignem Antrieb, teils auf
Veranlassung meiner guten Freunde, welche in den Geschmack gekommen
waren, Schauspiele aufzuführen, einen ganzen Wust theatralischer
Produktionen durch, wie sie der Zufall mir in die Hände führte. Ich
war in den glücklichen Jahren, wo uns noch alles gefällt, wo wir in
der Menge und Abwechslung unsre Befriedigung finden. Leider aber ward
mein Urteil noch auf eine andere Weise bestochen. Die Stücke gefielen
mir besonders, in denen ich zu gefallen hoffte, und es waren wenige,
die ich nicht in dieser angenehmen Täuschung durchlas; und meine
lebhafte Vorstellungskraft, da ich mich in alle Rollen denken konnte,
verführte mich zu glauben, daß ich auch alle darstellen würde;
gewöhnlich wählte ich daher bei der Austeilung diejenigen, welche sich
gar nicht für mich schickten, und, wenn es nur einigermaßen angehn
wollte, wohl gar ein paar Rollen.
Kinder wissen beim Spiele aus allem alles zu machen; ein Stab wird zur
Flinte, ein Stückchen Holz zum Degen, jedes Bündelchen zur Puppe und
jeder Winkel zur Hütte. In diesem Sinne entwickelte sich unser
Privattheater. Bei der völligen Unkenntnis unserer Kräfte unternahmen
wir alles, bemerkten kein quid pro quo und waren überzeugt, jeder müsse
uns dafür nehmen, wofür wir uns gaben. Leider ging alles einen so
gemeinen Gang, daß mir nicht einmal eine merkwürdige Albernheit zu
erzählen übrigbleibt. Erst spielten wir die wenigen Stücke durch, in
welchen nur Mannspersonen auftreten; dann verkleideten wir einige aus
unserm Mittel und zogen zuletzt die Schwestern mit ins Spiel. In
einigen Häusern hielt man es für eine nützliche Beschäftigung und lud
Gesellschaften darauf. Unser Artillerielieutenant verließ uns auch
hier nicht.
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