Wenn der Fremde so mächtig war, warum hatte er dann ihr Schiff mieten müssen, indem er mit kostbarem Eisen bezahlt und noch mehr versprochen hatte, um zu seinem Ziel zu gelangen? Warum hatte er nicht einfach Magie angewandt? Gewiss hätte er seine Meisterschaft der Runen benutzen können, um ein Luftschiff oder einen geflügelten Wolf zu beschwören und sich an seinen Bestimmungsort tragen zu lassen. War diese Reise mit irgendeinem finsteren Hintersinn unternommen worden?
Ragnar versuchte den Gedanken abzutun. Vielleicht hatte der Zauberer sich die Feindschaft der Sturmdämonen zugezogen und konnte nicht fliegen. Vielleicht erstreckte sich seine Meisterschaft nicht auf die Beherrschung der entsprechenden Runen. Woher sollte Ragnar das wissen? Er hatte keinen blassen Schimmer von der Zauberkunst und kannte auch niemanden, der etwas darüber wusste, wenn man vom alten Skalden der Donnerfäuste, Imogrim, absah, und der hatte den Fremden mit abergläubischer Scheu angesehen, sich geweigert, etwas über ihn zu sagen, und seinen Leuten lediglich aufgetragen, dem Fremden unbedingten Gehorsam zu leisten.
Ragnar bezweifelte, dass die abergläubische Scheu, die den Fremden wie ein Mantel umgab, irgend jemanden dazu bewegt hätte, diese Reise zu unternehmen, hätte der Skalde dies nicht nahegelegt. Ihr Bestimmungsort, die Insel der Eisenmeister, wurde von allen seefahrenden Völkern und Sippen außerhalb der Handelssaison im Frühjahr gemieden. Das letzte Frühjahr war vor über fünfhundert Tagen zu Ende gegangen, und die Handelssaison war längst vorbei. Wer wusste, wie die geheimnisvollen Schmiede der Inseln jetzt Fremde begrüßen würden? Sie blieben meistens für sich und verteidigten ihre Bergwerke mit dem kostbaren Eisen so, wie ein Troll seinen Hort bewachte.
Dennoch, überlegte Ragnar, wenn der Fremde verlangt hätte, dass sie ihn auch ohne seine ansprechende Bezahlung dorthin brachten, hätten sie ihm dieses Ansinnen abschlagen können?
Ragnar bezweifelte, dass selbst das gesamte Dorf der tapferen Donnerfaust-Krieger der Magie hätte standhalten können, die der Fremde gewirkt hatte. Ragnar bezweifelte sogar, dass ihre Waffen überhaupt nur die zweite Haut aus Metall durchdringen konnten, die seinen Körper umgab.
Der alte Mann hatte etwas Faszinierendes an sich, und Ragnar sehnte sich danach, mit ihm zu reden und ihm Fragen zu stellen. Der Fremde hatte ihn gerettet und ihn angesprochen, und das musste doch etwas zu bedeuten haben. Trotzdem stand Ragnar wie angewurzelt auf Deck. Die Vorstellung, mit dem Zauberer zu reden, war furchteinflößender als die Begegnung mit dem Maul des Drachen.
Er blieb noch einen Moment wie erstarrt, dann nahm er seine ganze Entschlossenheit zusammen. Sei nicht albern, sagte er sich. Du hast ihm nicht einmal für deine Rettung gedankt.
Schweigend trat Ragnar vor. Vorsichtig wie beim Beschleichen einer wilden Ziege näherte er sich dem Schiffsbug.
»Was gibt es, Junge?«, fragte der Fremde, ohne sich umzudrehen, bevor Ragnar sich ihm auch nur bis auf zehn Schritt genähert hatte. Ragnar erstarrte. Hier war ein weiterer Beweis für die Zauberkräfte des Fremden. Ragnar hatte sich leise bewegt. Seine Füße hatten kein Geräusch auf dem Deck verursacht. Bei seinen Leuten galt er als großer Jäger. Doch der Fremde wusste, dass er da war, ohne auch nur den Kopf zu drehen. Ragnar war sicher, dass der Fremde das zweite Gesicht besaß.
»Ich habe dir eine Frage gestellt, Junge«, sagte der Fremde, indem er sich zu Ragnar umdrehte. In seiner Stimme lag kein Zorn, nur Autorität.
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