Er klang wie ein Mann, der daran gewöhnt war, dass er seinen Willen bekam. Auch seiner Sprechweise haftete etwas Merkwürdiges an. Er redete sehr langsam, und sein Akzent war antiquiert. Er erinnerte Ragnar an die Art, wie der Skalde sprach, wenn er die Epen von Russ und dem Allvater zitierte. Ragnar hatte den Eindruck, dieser alte Mann mochte direkt aus einer dieser Sagen getreten sein. Er hatte eine Art an sich, wie sie einer der alten Helden besessen haben mochte.
»Ich möchte Euch danken, dass Ihr mir das Leben gerettet habt, Jarl«, sagte Ragnar, indem er die respektvollste Anrede benutzte, die er kannte. Das Gesicht des alten Mannes hatte etwas Seltsames an sich, ging ihm jetzt auf. Es war lang und barbarisch, die Nase war riesig und hatte gewaltig aufgeblähte Flügel. Die ledrige, über den Wangen eingefallene Haut verlieh ihm ein wölfisches Aussehen. Und was hatten die drei in die Stirn eingelassenen Knöpfe zu bedeuten?, fragte sich Ragnar.
Und wie waren sie dorthin gelangt? In seiner Sippe fiel ihm keine Möglichkeit ein, wie man so etwas erreichen konnte, ohne dass sich die Geister des Wundbrands einnisten würden.
»Deine Zeit zu sterben war noch nicht gekommen«, sagte der Zauberer und wandte sich wieder der Betrachtung des Horizonts zu. Wie konnte der Fremde das wissen, staunte Ragnar.
»Was sucht Ihr?«, fragte Ragnar, von seiner Kühnheit selbst überrascht. Der Fremde schwieg eine Weile, und Ragnar fürchtete, er werde nicht antworten. Doch in diesem Augenblick zeigte der Zauberer auf etwas. Ragnar konnte erkennen, dass sein Finger in Metall gehüllt war und das Sonnenlicht reflektierte. Er schaute dorthin, wohin der Fremde zeigte, und hielt den Atem an. Vor ihnen erhoben sich mächtige Gipfel über den Horizont, gewaltige Zinnen aus Speeren, welche die Wolken durchbohrten. Die Wälle dieser Gipfel waren weiß, und etwas wie Eis glitzerte auch auf ihren Hängen, wo sie ins Meer flossen.
»Die Wälle der Götter«, sagte Ragnar und beschrieb das Runenzeichen von Russ über der Brust.
»Die Gipfel Asaheims«, murmelte der Fremde leise und lächelte dann, so dass seine gewaltigen Fänge enthüllt wurden.
»Ich muss in deinem Alter gewesen sein, als ich sie zum ersten Mal gesehen habe, Junge, und das liegt gute dreihundert Jahre zurück.«
Ragnar starrte ihn mit offenem Mund an. Der Fremde hatte zugegeben, ein übernatürliches Wesen zu sein. Niemand auf Fenris, nicht einmal der älteste Graubart, lebte länger als fünfunddreißig Jahre.
»Ich bin froh, dass ich die Gelegenheit habe, sie noch einmal zu sehen«, sagte der Fremde und klang dabei ganz so wie einer der alten Männer des Dorfs, bevor er ging, um sein Totengedicht zu skandieren. Der Fremde schüttelte den Kopf und grinste mit jenen beunruhigenden Fängen auf Ragnar herab. »Ich muss langsam senil werden, dass ich so vor mich hin plappere«, sagte er.
Ragnar erwiderte nichts, sondern sah ihn nur an, ihn und dann die weit entfernten Berge.
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