Zwei Schwestern

Zwei Schwestern

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Tags: Erzählung

Schwestern, ob zänkisch und miteinander konkurrierend oder harmonisch einander zugetan – es handelt sich um eine spannungsreiche, lebenslange Beziehung. Ihr gehen die Autorinnen und Autoren hier auf den Grund – den Realitäten wie den Bildern und Mythen, die in Literatur, Film und Kunst vermittelt werden. Sichtbar wird eine Vielzahl kulturell vermittelter Beziehungsmuster, die das Zusammenleben von Frauen wie auch Männern lebenslang prägen. Mit Beiträgen u. a. von Andrea Bartl, Birgit M. Hack, Peter Kaiser, Susanne Knackmuss, Renate Liebold, Claudia Liebrand, Bettina Mielke, Gertrud Maria Rösch, Corinna Onnen- Isemann und Elisabeth Schlemmer.

Adalbert Stifter

Zwei Schwestern

 

 

 

 

Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt

 

 

epub: 2009 © TUX

 

 

Autor

 

 

Adalbert Stifter wurde am 23.10.1805 in Oberplan (Böhmerwald) geboren. Er kam als Sohn eines Leinewebers und Flachshändlers aus einfachen Verhältnissen. Als er 12 Jahre alt war, starb der Vater, und er wurde von da ab von den Großeltern erzogen. Er besuchte von 1818 bis 1826 das Gymnasium und studierte anschließend bis 1830 in Wien zunächst Jura, dann Naturwissenschaften und Geschichte, machte aber keine Abschlußprüfung.

Stifter wollte gern Landschaftsmaler werden. Den Lebensunterhalt verdiente er sich als Privatlehrer in Wiener Adelshäusern. 1848 zog Stifter nach Linz und lebte dort die letzten Jahrzehnte seines Lebens. In seinen letzten Lebensjahren war er schwerkrank und litt unter Depressionen. Ob er Selbstmord beging, ist nicht sicher nachzuweisen. Er starb am 28.1.1868.

 

1. Einleitung

 

Wir legen in folgenden Blättern nicht sowohl eine einfache Geschichte, wie wir sie in diesen Büchern gerne erzählt haben, als vielmehr noch weniger dar, nehmlich blos den Zustand einer Familie, wie er aus mehreren uns unbekannten Veranlassungen, hauptsächlich aber aus der großen innern Grundverschiedenheit zweier Schwestern, der einzigen Kinder des Hauses, hervor gegangen ist. Wenn wir auch denjenigen, die gerne viel Thatsächliches und Geschehenes lesen, nicht genug thun können, so glauben wir doch, daß mancher Seelen- und Menschenforscher, wenn er am Ende dieser Blätter angekommen ist, sie nicht ohne eine kleine Theilnahme weglegen wird. Uns hat es einst ein sanftes, fast trauriges Gefühl erregt, als uns ein Freund die lükenhafte Thatsache, wie sie war, und ohne auf Verzierungen und Ausschmükungen auszugehen, erzählt hat. Die Theilnahme war um so größer, als dieser Freund selber in seiner Jugend eine einseitige Bildung seiner Geisteskräfte erhalten hatte, wodurch er in der Folge viel leiden mußte, als er ferner manchen unverdienten Schmerz und manche Täuschung erfuhr, und als er auch von dieser Familie eine Umdüsterung seiner Seele fort trug, die er wohl durch die Stärke und Heiterkeit seines Geistes, welche er sich in späteren Jahren erwarb, überwunden haben wird. Wir erzählen die Thatsache mit den Worten unseres Freundes, obgleich wir als Nacherzähler auf die Frische und Ursprünglichkeit verzichten müssen, die ihm, der die Sache erlebte, eigen war, und wir überhaupt nicht die Lebendigkeit der Darstellung besi zen, wie unser Freund, der aber mit vielen sehr wohlbegabten Menschen die eigenthümliche Sucht theilet, nie etwas Geschriebenes von sich geben zu wollen.

Nach diesen einbegleitenden Worten folge die Sache.

 

2. Reisefreunde

 

Wir fuhren einmal unser mehrere in einem Postwagen. In dem Kasten saß ein Vater mit zwei Töchtern - ich weiß es nicht genau, aber ich hielt ihn dafür. Das ältere der Mädchen, ungefähr dreizehn oder vierzehn Jahre alt, erregte durch ihr ernstes und ruhiges Benehmen unsere Aufmerksamkeit und unsern Beifall. Das jüngere war noch fast ein Kind, das mit kindlichen Augen in die Welt hinein schaute. Außer diesen drei Personen saß noch eine Frau in dem Kasten, die ich für die Begleiterin, gewesene Amme, oder sonst etwas dergleichen von den Mädchen hielt, obwohl sie vielleicht auch ganz und gar nicht zu ihnen gehören konnte; denn sie gab, ungleich der gewöhnlichen Art solcher Frauen, sehr wenige Zeichen von sich, regte sich wenig, und sprach oft wirklich postenlange kein Wort. In dem hintern Gelasse des Wagens saßen ich und ein ältlicher Mann, den wir seines blassen Aussehens und seiner schwarzen Kleidung halber scherzweise Paganini nannten. Er lächelte einmal bei diesem Spottnamen trübsinnig und sagte: »Wer weiß, ob es nicht ein sehr großes Unglük für mich wäre, wenn ich wirklich Paganini wäre.« Unter dem Vordache des Wagens saß neben dem Postgeleiter ein Student, von dem ich nichts zu sagen weiß, als daß er sehr viel aus einem Meißnerkopfe rauchte, an dem er ein langes Rohr und ein bewegliches Mundstük hatte.

Die Reise war durch ganz und gar nichts ausgezeichnet, weder durch sehr schlechtes noch durch sehr schönes Wetter - weder durch ein Glük noch durch ein Unglük - weder durch besonders langweiliges noch durch ungemein anziehendes Gespräch. Als wir uns erst ein wenig in einander hinein gelebt hätten, und die Sache ein wenig in den Gang gekommen wäre, hatten wir unser Ziel erreicht, und wir gingen auseinander.

Ich hätte das Ding längst vergessen, wenn nicht der Zufall eine Fortsezung daran gestükt hätte, wie er es oft mit den unzusammengehörigsten Sachen thut. Man wird bei solchen Vorgängen gereizt, nach einer Art Vernunft in dem Gemengsel zu suchen, und wenn wirklich etwas daraus erfolgt, schieben wir es der Vorsehung in die Schuhe - mit welchem Rechte oder Unrechte, weiß ich nicht. Die Sache aber war so.