Aus dem steifen Wesen des blauen Rockes fiel er dann zu Zeiten plötzlich in seine eigene herablassende Jovialität und in eine Region derselben, wo der Spaß den Abstand von Vorgesetzten und Untergebenen mit schmutzigen Fingern auslöschte, als wäre er nie gewesen. Rückte er sich dann ebenso plötzlich in der Autorität gewaltsam wieder zurecht, so brachte das die verlorene Achtung nicht wieder, es beleidigte nur. Zu alledem kam noch, daß er sich von manchen seiner Arbeiter übersehen und in schwierigen Fällen sie machen lassen mußte, was sie wollten.
Apollonius dagegen hatte von Natur und aus der Schule beim Vetter, was dem Bruder fehlte; er besaß die Würde der Persönlichkeit, die Folgerichtigkeit bis zum Eigensinn. Seine innere Sicherheit galt; sie mußte sich nicht geltend machen – er war des sichtbaren Mühens um Achtung überhoben, welches so selten seinen Zweck erreicht, ja gemeiniglich ihn verfehlt. Und so gelang ihm, was er wollte. Bald war die musterhafteste Ordnung beim Bau, und alle schienen sich wohl dabei zu befinden; nur Fritz Nettenmair nicht. Das rasche Ineinandergreifen, das wie im Geleise einer unsichtbaren Notwendigkeit ging, machte das Wesen im blauen Rocke, in welchem er sich so groß fühlte, überflüssig. Noch ein Grund zum Unbehagen daran war, daß die neue Ordnung von dem Bruder ausging; von demselben, dem er schon so viel zu verzeihen hatte und dem er immer weniger verzeihen mochte. Er wußte nicht oder wollte nicht wissen, welchen Zauber eine geschlossene Persönlichkeit ausübt, obgleich er selbst widerwillig sie anerkennen mußte, und noch weniger, daß diese ihm fehlte und der Bruder sie besaß. Er war bei sich einig, der Bruder hatte Mittel angewandt, die zu brauchen er selbst mit Genugtuung sich zu edel fühlte. Dadurch hatte jener die Leute ihm abspenstig gemacht. Apollonius hatte keine Ahnung von dem, was in dem Bruder vorging; der war gegen ihn, wie man gegen Arglistige sein muß, auf der Hut; denn solche Feinde kann man nur mit ihren eigenen Waffen besiegen. Die brüderliche Freundlichkeit und Achtung, mit der ihn Apollonius behandelte, war eine Maske, unter der dieser seine schlimmen Pläne sicherer zu bergen meinte; er vergalt ihm und machte ihn leichter unschädlich, wenn er unter derselben Maske seine Wachsamkeit barg. Die gutmütige Willigkeit Apollonius', sich ihm äußerlich unterzuordnen, erschien dem Bruder wie eine Verhöhnung, an der die Arbeiter, von dem Arglistigen gewonnen, wissend teilnahmen. In seiner Empfindlichkeit griff er selbst nach den Mitteln, die er bei diesem voraussetzte. Offen ihm entgegenzutreten, verhinderte ihn der Umstand, daß Apollonius ihm selbst imponierte, wenn er auch diesen Grund nicht hätte gelten lassen. Er legte den blauen Donnerrock beiseite und stieg bis auf die unterste Sprosse seiner Jovialität herab. Er begann, durch Winke, dann allmählich durch Worte sein Mitleid mit den Arbeitern zu zeigen, die unter der Tyrannei eines wohldienerischen Eindringlings seufzten, wie er ihnen bewies; da er nicht den Mut hatte, sie zu offener Widersetzlichkeit zu reizen, suchte er sie zu einzelnen kleinen Ausgriffen zu verleiten. Er begann, sie täglich zu traktieren. Sie aßen und tranken, blieben aber wie zuvor in dem Geleise, das Apollonius vorgezeichnet.
Der gemeine Mann hat den scharfen Blick des Kindes für die Stärken und Schwächen seiner Vorgesetzten. Durch dies Bemühen, das sie durchschauten, verlor Fritz Nettenmair noch den letzten Rest seiner Achtung; sie lernten daraus, wenn sie es noch nicht wußten, mit wem sie es verderben durften, mit wem nicht. Und wären sie ungewiß gewesen, so hätte sie das ungleiche Benehmen des Bauherrn gegen die beiden Brüder bestimmen können. Und da sie nicht so fein waren und auch nicht die Gründe dazu hatten wie Fritz Nettenmair, gab sich ihre Meinung unverhohlen kund. Sie nahmen sich Dinge gegen ihn heraus, die ihm zeigten, daß der Erfolg seiner Herablassung ein ganz anderer war, als den er beabsichtigte. Nun zog er zürnend die Wolke des blauen Rockes wieder um sich zusammen, pfiff schrillender als je, so daß es drüben in der großen Glocke widertönte, ging auf doppelten Stelzen, zog die Schultern noch einmal so hoch am schwarzhaarigen Kopfe herauf; der Grimm und die Entschiedenheit seines früheren Hustens und Ausspuckens war ein Kinderspiel gegen sein jetziges. Aber die Arbeiter wußten bald, dergleichen geschah nur in Apollonius' Abwesenheit, und dessen zufälliges Kommen brachte, wie der aufgehende Vollmond, die schwersten Gewitter aus der Fassung.
Fritz Nettenmair mußte an der Wiederherstellung seiner verlorenen Bedeutung auf dem Schauplatz der Reparatur verzweifeln. Natürlich schrieb er auch das Ergebnis seiner falschen Maßregeln auf Apollonius' immer wachsende Rechnung. Das Gefühl, überflüssig zu sein, packte ihn wie den alten Herrn, brachte aber nicht ganz dieselben Wirkungen hervor. Was dem alten Herrn das Gärtchen, das wurde nun dem älteren Sohne der Schieferschuppen. Wenigstens solange er Apollonius auf seinem Fahrzeug oder auf dem Kirchendache sah.
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