Er wußte mehr als sie; er wußte, wen sie suchte. Gegen alle andere Welt jovial, tat er gegen sie den blauen Rock an.
Er wird sie bald dahin bringen, den sonst Gefürchteten mit ihm zu vergleichen.
Sie saß im Garten, während der alte Herr seine schweren Mittagsträume träumte. Fritz Nettenmair lag in der Stube auf dem Sofa und trug die Nachwehen einer durchschwärmten Nacht; vorher hatte er nach dem Turmdache gesehen. Sie fühlte sich so eigen wohl daheim. Und sollte sie nicht? Spielten nicht ihre Kinder um sie? Sie dachte nicht daran, wie oft sie sich von den Kindern fortgesehnt in den Wirbel, der sie nicht mehr lockte. Sie nähte. Die Knaben spielten zu ihren Füßen, so still, als wäre der alte Herr zugegen. Doch nicht so; war der alte Herr im Gärtchen, sie hätten sich gar nicht hinein getraut. Das Mädchen hatte die Mutter umschlungen, die selber, in der Unberührtheit ihres Wesens, noch ein Mädchen schien. Wenig mehr von der Ähnlichkeit mit ihrem Gatten lag in ihren Zügen. Sie war nur eine äußerliche gewesen, nur Äußerliches schien die heitern Linien berührt zu haben; kein tiefinneres Erlebnis hatte seine Marke ihnen aufgeprägt.
Das kleine Mädchen hatte dem erwachsenen, seiner Mutter, von Puppen, Blumen, Kindern, und in seiner Weise manches zweimal, manches nur halb erzählt. Jetzt hob sie mit altkluger Ernsthaftigkeit das Köpfchen, sah die Mutter bedenklich an und sagte: »Was das nur ist?«
»Was?« fragte die Mutter.
»Wenn du dagewesen bist und fortgehst, sieht er dir so traurig nach.«
»Wer?« fragte die Mutter.
»Nun, der Onkel Apollonius. Wer sonst? Hast du ihn gescholten? oder geschlagen, wie mich, wenn ich Zucker nehme und nicht frage? Du hast ihm doch gewiß etwas getan; sonst wär' er nicht so betrübt.«
Das Mädchen plauderte weiter und vergaß den Onkel bald über einen Schmetterling. Die Mutter nicht. Die Mutter hörte nicht mehr, was das Mädchen plauderte. Was war das doch für ein eigenes Gefühl, wohl und weh zugleich! Sie hatte die Nadel fallen lassen und merkte es nicht. War sie erschrocken? Es war ihr, als wäre sie erschrocken, etwa so, wie man erschrickt, hat man mit einem Menschen geredet und wird plötzlich inne, es ist ein anderer, als mit dem man zu reden meinte. Sie hatte gemeint, Apollonius wolle sie beleidigen, und nun sagt das Kind: »Du hast ihn beleidigt!« Sie blickte auf und sah Apollonius vom Schuppen her nach dem Hause kommen. In demselben Augenblick stand ein anderer Mann zwischen ihr und dem Vorübergehenden, als wäre er aus der Erde gewachsen. Es war Fritz Nettenmair. Sie hatte ihn nicht nahen gehört.
Er kam in seltsamer Hast von einer gleichgültigen Frage auf den »ledernen Ball«. Er erzähflte, was die Leute darüber meinten, wie jedermann sich beleidigt fühle von der Beschimpfung, daß Apollonius sie damals nicht aufgezogen, nicht einmal zum ersten Tanze. Eigen war es, wie sie jetzt daran erinnert wurde, empfand sie es stärker als je; aber nicht zürnend, nur wie mit wehmütigem Schmerze. Sie sagte das nicht. Es war nicht nötig. Fritz Nettenmair war wie ein Mensch im magnetischen Schlaf. Er brauchte sie nicht anzusehen; mit geschlossenen Augen, von einem Baumblatt, einer Zaunlatte, von einer weißen Wand las er ab, was sein Weib fühlte.
»Wir werden ihn bald loswerden, denk' ich«, fuhr er fort, als hätte er nicht an der Stallwand gelesen. »Es ist kein Platz für zwei Haushälte hier. Und die Anne ist weiten Raum gewöhnt.«
So hieß das Mädchen, mit der Apollonius am »Ledernen« tanzen, die er heimbegleiten mußte. Sie war seither öfter hier gewesen, unter Vorwänden, die ihre hochrote Wange Lügen strafte.
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