Auch ihr Vater, ein angesehener Bürger, hatte sich um Apollonius' Bekanntschaft gemüht, und Fritz Nettenmair hatte die Sache gefördert, wie er konnte.

»Die Anne?« rief die junge Frau wie erschreckend.

Gut, daß sie nicht lügen kann, dachte Fritz Nettenmair erleichtert. Aber es fiel ihm ein, ihr Unvermögen, sich zu verstellen, kam ja auch dem argen Plan des Bruders zugut. Er hatte die Eifersucht als letztes Mittel angewandt. Das war wieder eine Torheit, und er bereute sie schon. »Sie kann sich nicht verstellen, und wäre er noch ganz der alte Träumer, ihre Aufregung muß ihm verraten, was in ihr vorgeht. Noch weiß sie es selbst ja nicht. Und dann« – er stand wieder an dem Punkte, zu dem jeder Ausgang ihn führt: er sah sie sich verstehen –, »und dann«, zwängte er zwischen den Zähnen hervor, daß jede Silbe daran sich blutig riß, »und dann – wird sie's schon lernen!«

Der Bruder erwartete ihn in der Wohnstube. »Er muß doch einen Vorwand machen, warum er da vorbeikam, wo er sie allein dachte, da er weiß, ich hab' ihn gesehn!« So dachte er und folgte dem Bruder.

Apollonius wartete wirklich in der Wohnstube auf ihn. Der Bruder gab sich durch seine Wendung auf den Fersen recht, als er ihn sah. Apollonius suchte den Bruder auf, ihn vor dem ungemütlichen Gesellen zu warnen. Er hatte manches Bedenkliche über ihn gehört und wußte, der Bruder vertraute ihm unbedingt. »Und da befiehlst du, ich soll ihn fortschicken?« fragte Fritz und konnte nicht verhindern, daß sein Groll einmal durchschimmerte durch seine Verstellung. Apollonius mußte aus dem Tone, mit dem er sprach, seine wahre Meinung herauslesen. Sie hieß: »Du möchtest auch in den Schuppen dich eindrängen und mich von da vertreiben. Versuch's, wenn du's wagst!«

Apollonius sah dem Bruder mit unverhehltem Schmerz in das Auge. Er fuhr mit der Hand über des Bruders Rockklappe, als wollte er wegwischen, was sein Verhältnis zu dem Bruder trübte, und sagte: »Hab' ich dir was zuleid getan?«

»Mir?« lachte der Bruder. Das Lachen sollte klingen wie: »Ich wüßte nicht was?« aber es klang: »Tust du was anders, willst du was anders tun, als wovon du weißt, daß es mir leid ist?«

»Ich wollte schon lange dir etwas sagen,« fuhr Apollonius fort, »ich will's morgen; du bist heute nicht gelaunt. Das mit dem Gesellen mußtest du erfahren, und es war nicht so gemeint, wie du's aufnahmst!«

»Freilich! Freilich!« lachte Fritz. »Ich bin überzeugt. Es war nicht so gemeint!«

 

Apollonius ging, und Fritz ergänzte seine Rede: »Es war nicht so gemeint, wie du, Federchensucher, mich glauben machen willst. Und anders gemeint, als ich's aufnahm? Du meinst, ich hab' – Der Geselle ist ein schlechter Kerl; aber du hättest mich nicht gewarnt, hättest du keinen Vorwand gebraucht!« Er machte seine überlegene Wendung auf den Fersen; in seinen verwüsteten Zustand hinein hatte ihn die glückliche Anwendung von des alten Herrn diplomatischer Kunst, durch Halbsagen zu verschweigen, gefreut.

Die Freude war schnell vorübergehend; die alte Sorge schraubte ihn wieder auf ihre Marterbank. Und noch eine jüngere hatte sich ihr zugesellt. Er hatte das Geschäft vernachlässigt; der Geselle, in seiner Abwesenheit Herr im Schuppen, hatte Gelegenheit genug gehabt, ihn zu bestehlen, und sie gewiß benutzt. Bei der Reparatur war er schon lange nicht mehr tätig; Apollonius mußte einen Gesellen mehr annehmen und für den Bruder einstellen. Er verdiente schon lange nichts mehr und versäumte doch dabei kein öffentlich Vergnügen. Die Achtung der bedeutenden Leute zeigte eine wachsende Neigung zum Sinken und war nur durch wachsende Massen von Champagner aufrecht zu erhalten. Er hatte sich in Schulden gesteckt und vergrößerte sie noch täglich. Und doch mußte einmal der Augenblick kommen, wo der mühsam erhaltene Schein von Wohlhabenheit verging. Er wußte, daß er nur so lange der Geachtete war, als der Jovialste der Jovialen galt. Er war klug genug, den Unwert solcher Achtung und solchen Bemühens um ihn zu erkennen, aber nicht stark genug, es entbehren zu können.