Und vielleicht ist er nie so gewesen, und die Menschen haben Fritz belogen. Wir wollen gut sein gegen ihn, damit er froh wird. Ich kann's nicht mehr ertragen, wie er traurig ist. Ich will's ihm sagen, dem Fritz!« So schließt die junge Frau ihr Selbstgespräch; ihr ganzes süß-vertrauliches Mädchenwesen ist wieder aufgewacht, und Fritz Nettenmair begreift, das Tun, zu dem der Zorn ihn hinreißen will, muß erschaffen, was noch nicht ist, muß beschleunigen, was kommen wird. Er ist arm geworden, entsetzlich arm. Die Zukunft ist nicht mehr sein; er darf nicht auf Tage hinaus rechnen; er lebt nur noch von Augenblick zu Augenblick; er muß festhalten, was zwischen dem gegenwärtigen ist und dem nächstkommenden. Und dazwischen ist nichts als Qual und Kampf.
Er hat die Frau bis jetzt geliebt, wie er alles tat, wie er selbst war, oberflächlich – und jovial. Das Gewissen hat seine Seele ausgetieft. Die Furcht vor dem Verlust hat ihn ein ander Lieben gelehrt. Das Lieben lehrte ihn wiederum ein ander Fürchten. Hätte er sie früher so geliebt wie jetzt, ihre tiefste Seele hätte sich ihm vielleicht geöffnet, sie hätte auch ihn geliebt. Sie haben Jahre zusammengelebt, sind nebeneinander gegangen, ihre Seelen wußten nichts voneinander. Dem Leibe nach Gattin und Mutter ist ihre Seele ein Mädchen geblieben. Er hat die tieferen Bedürfnisse ihres Herzens nicht geweckt, er kannte sie nicht; er hätte sie nicht befriedigen können. Er erkennt sie erst, wie sie sich einem Fremden zuwenden. Er fühlt erst, was er besaß, ohne es zu haben, nun es einem andern gehört. Mit welcher Empfindung sieht er die Knospe ihres Angesichts sich entfalten, die er schon für die Blume hielt! Welch niegeahnter Himmel öffnet sich da, wo er sonst Genüge hatte, sein eigen Spiegelbild zu finden. Und wieviel er sah: all den Reichtum an hingebendem Vertrauen, an Opferfähigkeit, an verehrendem Aufstaunen und dienendem Ergeben zu fassen, der in der Morgenröte dieses reinen Angesichtes aufging, war sein Auge, auch krankhaft weit geöffnet, noch zu eng. Sein Schmerz übermannte einen Augenblick seinen Haß. Er mußte sich fortschleichen, um das Geständnis seiner Schuld vor dem Antlitz zu flüchten, dessen Blick er jetzt wie ein Verbrecher fürchtete, so sanft es war.
Gegen Abend wurde die junge Frau plötzlich von zwei Männerstimmen aus ihren Träumen geweckt. Sie saß unfern der verschlossenen Schuppentür im Grase. Fritz war eben mit dem Bruder von der Hintergasse in den Schuppen getreten. Sie hörte, er zog den Bruder mit Wohligs Anne auf. Anne sei die beste Partie in der ganzen Stadt und der Bruder ein Spitzbube, der die Welt kenne und die Art, die lange Haare und Schürzen trägt. Die Anne nähe schon an ihrer Aussteuer, und ihre Basen trügen die Heirat mit Apollonius von Haus zu Hause. Die junge Frau hörte ihn fragen, wann die Hochzeit sei? Sie hatte sich entfernen wollen; sie vergaß es; sie vergaß das Atmen. Und drauf hätte sie fast laut aufgejubelt: Apollonius sagte, er heirate gar nicht, die Anne nicht, noch sonst eine.
Der Bruder lachte. »Drum hast du den Abend deiner Heimkehr nur mit der Anne getanzt und sie heimgeleitet?«
»Mit deiner Frau hätte ich getanzt«, entgegnete Apollonius. »Du warntest mich, deine Frau würde mir einen Korb geben, weil sie so unwillig auf mich war. Ich wollte nun gar nicht tanzen.
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