Du brachtest mir die Anne, und wie du gingst, fragtest du sie, ob ich sie heimbegleiten dürfte. Da konnt' ich nicht anders. Ich habe nie daran gedacht, die Anne –«
»Zu heiraten?« lachte der Bruder. »Nun, sie ist auch zum – Spaße hübsch genug und der Mühe wert, sie vernarrt in dich zu machen.«
»Fritz!« rief Apollonius unwillig. »Aber es ist nicht dein Ernst«, besänftigte er sich selbst. »Ich weiß, du kennst mich besser; aber auch im Scherz soll man einem braven Mädchen nicht zu nahe treten!«
»Pah«, sagte der Bruder, »wenn sie es selbst tut. Was kommt sie uns ins Haus und wirft sich dir an den Kopf?«
»Das hat sie nicht«, entgegnete Apollonius warm. »Sie ist brav und hat sich nichts Unrechtes dabei gedacht!«
»Ja, sonst hättest du sie zurechtgewiesen«, lachte Fritz, und es lag Hohn in seiner Stimme.
»Wußt' ich«, sagte Apollonius, »was sie dachte? Du hast sie mit mir aufgezogen und mich mit ihr. Ich habe nichts getan, was solche Gedanken in ihr erwecken konnte. Ich hätt's für eine Sünde gehalten.«
Die Männer gingen ihren Weg wieder zurück. Christianen fiel es nicht ein, sie hätten auch auf den Gang kommen können, wo sie stand. Was von Offenheit und Wahrheit in ihr lag, war gegen ihren Gatten empört. Nicht die Leute hatten ihn belogen; er war selber falsch. Er hatte sie belogen und Apollonius belogen, und sie hatte irrend Apollonius gekränkt. Apollonius, der so brav war, daß er nicht über die Anne spotten hören konnte, hatte auch ihrer nie gespottet. Alles war Lüge gewesen von Anfang an. Ihr Gatte verfolgte Apollonius, weil er falsch war und Apollonius brav. Ihr innerstes Herz wandte sich von dem Verfolger ab und dem Verfolgten zu. Aus dem Aufruhr all ihrer Gefühle stieg ein neues heiliges siegend auf, und sie gab sich ihm in der vollen Unbefangenheit der Unschuld hin. Sie kannte es nicht. Daß sie es nie kennen lernte! Sobald sie es kennen lernt, wird es Sünde. – Und schon rauschen die Füße durch das Gras, auf denen die unselige Erkenntnis naht.
Fritz Nettenmair mußte seine neue Scheidemauer aufbauen, ehe er den Bruder zu seinem Weibe führte. Deshalb kam er. Sein Gang war ungleich; er wählte noch und konnte sich nicht entscheiden. Er wurde noch ungewisser, als er vor ihr stand. Er las, was sie fühlte, von ihrem Antlitz; es war zu ehrlich, um etwas zu verschweigen; es kannte zu wenig, wovon es sprach, um zu denken, es müßte dies verbergen. Er fühlte, mit den alten Verleumdungen werde er nichts mehr bei ihr vermögen. Er konnte sie über ihre Gefühle aufklären, sie dann bei ihrer Ehre, bei ihrem weiblichen Stolze fassen. Er konnte sie zwingen – wozu? Zur Verstellung? Zum Leugnen? Zur Verheimlichung, wenn sie einmal wußte, was sie wollte? Würde sie nicht zu sich sagen: den Betrüger betrügen, das Gestohlene heimlich wieder nehmen, ist kein Betrug, kein Diebstahl. Das war es! Das Bewußtsein seiner Schuld verfälschte ihm die Dinge, die Menschen.
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